Calendula im Garten @ Matthias Sorg
25.03.2022 Aktiv werden

Natürlich gesund

Biodiversität fördert die Gesundheit ganz direkt. Über naturstoffbasierte Arzneimittel. Doch die Wildpflanzen-Apotheke ist bedroht.

Was schon die Menschen in der Steinzeit wussten, gilt heute immer noch: Pflanzen können gesund machen. Ethnopharmakologe Andreas Lardos: «Nach wie vor ist der grösste Teil der Menschheit für die grundlegende medizinische Versorgung auf traditionelle Medizin angewiesen, und diese basiert primär auf pflanzlichen Wirkstoffen.»

Dabei spielt die naturbasierte Medizin eine grössere Rolle, als viele denken mögen. «Rund die Hälfte aller zugelassenen Arzneimittel würden ohne die Erforschung der Natur gar nicht existieren», sagt der Leiter der Fachgruppe Naturstoffchemie und Phytopharmazie an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Etwa 25 Prozent aller Arzneimittel bestehen direkt aus Naturstoffen wie Pflanzen, Pilzen, Mikroorganismen oder Tieren respektive deren Derivaten. Weitere 25 Prozent sind zwar synthetisch, aber von Naturstoffen inspiriert.

Schützenswertes Potenzial

Wie viele Pflanzenarten medizinischen Zwecken dienen, lässt sich nicht genau beziffern: Schätzungen gehen von rund 20 000 aus. Und es gibt viele weitere, bislang unbekannte potenziell interessante Pflanzen – die vielleicht auch nie jemand ent­decken wird, denn die Biodiversität nimmt immer mehr ab.

Ein Problem ist der Boom, den Arzneipflanzen erleben. Nicht nur in der Medizin, sondern auch als Gesundheits- oder Wellnessprodukte. Einige Pflanzen werden extra dafür kultiviert, das funktioniert allerdings nicht mit allen. Und so wird immer noch ein sehr grosser Teil der Pflanzen, die medizinisch genutzt werden, wild gesammelt. Das führt nicht selten zu ­extremem Raubbau. Inzwischen gibt es zumindest gesetzliche Richtlinien und Standards, die auf ein nachhaltiges Sammeln der Heilpflanzen beziehungsweise generell den Schutz der Biodiversität zielen. Trotzdem besteht das Problem nach wie vor «und wir sind gefordert, Lösungen zu finden», sagt Lardos.

Ein Wettlauf, den wir gewinnen müssen

Durch die fortschreitende Zerstörung der Natur und dem Raubbau an ihr geht aber nicht nur eine Vielzahl an Pflanzen ­unwiederbringlich verloren. Auch indigene Völker und ihre Sprachen verschwinden zusammen mit ihrem natürlichen ­Lebensraum und damit auch ihr medizinisches Wissen über Pflanzen, das nur mündlich weitergegeben wird. Ethnobotaniker versuchen zwar, dieses Wissen zu dokumentieren und so zu erhalten. «Es ist aber ein Wettlauf gegen die Zeit», sagt Largos.  

Ein Wettlauf, den wir unbedingt gewinnen müssen, denn der Verlust an Biodiversität ist ein grosser Verlust für die Medizin und damit für die Menschheit. Wie gross tatsächlich, lässt sich schwer abschätzen, sagt Lardos, aber: «Das Ausmass beziehungsweise die damit verbundenen eventuellen Konsequenzen für die Medizin dürfen wir nicht unterschätzen.»

Gewinnbeteiligung für indigene Völker
Im UNO-Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt, die Biodiversitätskonvention (CBD), ist festgehalten, dass bei der Nutzung genetischer Ressourcen oder damit verbundenem traditionellem Wissen ein Teil des Gewinns an die Urheber des traditionellen Wissens oder die Herkunftsstaaten der genetischen Ressource zurückgegeben werden soll. Die Umsetzung dieser Gewinnbeteiligung wurde 2010 im Nagoya-Protokoll präzisiert und von den meisten CBD-Vertragsparteien ratifiziert, auch von der Schweiz. Allerdings können heute die Genome dieser Organismen entschlüsselt und digital als «digitale Sequenzinformationen» (DSI) auch ohne Gewinnbeteiligung weitergegeben werden. Viele Länder des globalen Südens und auch NGOs wollen darum, dass DSI auch unter der CBD und dem Nagoya-Protokoll geregelt werden; was die Schweizer Pharmalobby und der Bund jedoch ablehnen.

Wildpflanzen und traditionelles Wissen sind nicht patentierbar
Naturstoffe sind für die Medizin hochinteressant. «Moleküle aus Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen haben ein riesiges medizinisches Potenzial», sagt Ethnopharmakologe Andreas Lardos. «Alle Lebewesen haben evolutionär bedingt bis zu einem ­gewissen Grad ähnliche Strukturen. Inhaltsstoffe, die der Pflanze als ­Abwehr oder Schutz dienen, zeigen oft auch im Menschen einen medi­zinischen Effekt.» Trotzdem setzt die Pharmaindustrie eher auf synthetische Moleküle. Das hat nicht zuletzt mit der ­komplizierten patentrechtlichen Situation bei pflanzlichen Wirkstoffen zu tun, insbesondere wenn diese mit traditionellem Wissen verbunden sind. Grosse Pharmafirmen scheuen darum davor zurück, Millionen in die Entwicklung naturstoffbasierter Arzneimittel zu investieren; und kleine und mittlere haben schlicht zu wenig Kapital.


BETTINA EPPER, stellvertretende Chefredaktorin Pro Natura Magazin.

 

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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