«Die Angst vor dem Wolf ist unbegründet»
Pro Natura Magazin: Worum geht es in Ihrem Roman?
Florence Coulin: Es ist die Geschichte eines fiesen Bankers, der sich für ein paar Monate als Schafhirte wiederfindet. Er entdeckt eine andere Welt, andere Funktionsweisen, einen anderen Teil von sich und einen anderen Sinn für sein Leben. Es geht auch um ein kontroverses Thema, das zurzeit in den Medien verhandelt wird: die Präsenz des Wolfs in unseren Bergen.
Warum haben Sie sich für genau diese Themen entschieden?
Der Wolf nimmt schon in meinem ersten Roman, der im Yellowstone-Park in den USA spielt, einen wichtigen Platz ein. Ich hatte das Glück, dass ich den Park zusammen mit einem Tierfotografen besuchen konnte. Obwohl ich den Wolf nur aus der Ferne sah, beschäftigt er mich seither. Der Wolf symbolisiert für mich Familie und Freiheit. Er ruft uns dazu auf, unsere ungezähmte Seite wieder zum Vorschein zu bringen und uns besser in die Welt zu stellen – eine Welt, die immer normierter wird und in der wir brave Schafe sein sollen.
Sie halten auch Vorträge über den Wolf.
Ja, der Wolf ist faszinierend, aber er weckt auch große Ängste, die oft mit uralten Mythen verbunden sind. In meinen Vorträgen und meinen Romanen möchte ich zeigen, dass diese Angst unbegründet ist. Der Wolf ist von allein in unser Land zurückgekehrt und wir müssen lernen, mit ihm zu leben. Allerdings darf dabei die Perspektive der Viehhalter und Hirten nicht vergessen werden.
Was meinen Sie damit?
Sie haben es nicht leicht. Sie müssen viel mehr Aufwand betreiben, um ihre Tiere zu schützen. Zur Vorbereitung meines Romans habe ich mehrere Schäferinnen und Schäfer getroffen und einige Tage mit ihnen auf der Alp verbracht. Es war mir wichtig, ihre Sicht auf den Wolf auch zu verstehen und zu erfahren, mit welchen Schwierigkeiten sie in der Praxis zu kämpfen haben.
Sie gehen auch auf die Thematik der Herdenschutzhunde ein.
Ja. Ich habe mit zwei Schafhirten gesprochen, die diese Methode anwenden. In ihrer Herde gab es kaum Risse, obwohl sich der Wolf oft näherte. Wenn die Herden gut geschützt werden, dann funktioniert es. Aber auch Wanderer, Mountainbikerinnen und Trailrunner müssen mithelfen, indem sie nicht einfach durch die Gegend rasen, über Zäune steigen oder die Bauern sogar beschimpfen, wie es oft vorkommt. Die Viehhalter ihrerseits wiederum sollten die Bevölkerung aufklären, über ihre Erlebnisse berichten und aufzeigen, wozu ihre Maßnahmen dienen. Alle sollten einander mit Respekt und Offenheit begegnen.
Zielt Ihr Roman also darauf ab, die Leserinnen und Leser aufzuklären?
Ja, durchaus. Je besser man die Menschen informiert, desto weniger festgefahrene Meinungen haben sie. Informationen ermöglichen es, unsere Gewissheiten zu hinterfragen.
Weiterführende Informationen
Info
Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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