Die Blauflügelige Ödlandschrecke ist das Tier des Jahres 2023
Sie ist perfekt an die Farbe ihres Untergrundes angepasst: Die Blauflügelige Ödlandschrecke ist selbst auf kurze Distanz kaum zu entdecken. Das ändert sich abrupt, wenn man dem Tier zu nahe tritt. Dann wirft sich das rund 2 cm grosse Insekt in die Luft, entfaltet seine blau-schwarzen Flügel und schwirrt davon. Doch kaum leuchtet das überraschende Farbenspiel auf, ist es auch schon wieder vorbei. Das Tier landet und wird von der Landschaft buchstäblich verschluckt.
Warum wählt Pro Natura die Blauflügelige Ödlandschrecke zum Tier des Jahres?
Das Tier des Jahres 2023 bewohnt trocken-warme Gebiete mit spärlicher Vegetation. Viele natürliche Lebensräume der Blauflügeligen Ödlandschrecke sind in den letzten 100 Jahren zerstört worden. Kiesgruben, Bahnareale oder anderes «Ödland» bieten der Insektenart willkommene Ersatzbiotope. Doch diese sind vergängliche Naturparadiese. Sie brauchen gezielte Pflege, um für die blauen Fliegerinnen bewohnbar zu bleiben. Umso wichtiger ist es, die ursprünglichen Lebensräume der Blauflügeligen Ödlandschrecke zu schützen und wiederherzustellen: Auenlandschaften und trockene, karge Wiesen und Weiden.
Ein Sommerleben
Über den Winter sterben alle erwachsenen Blauflügeligen Ödlandschrecken. Das Überleben der Art beruht auf den im Boden schlummernden Eiern des letzten Sommers. Ab Ende April schlüpfen die Nymphen (Larven). Bei jeder Häutung passt sich das Tier farblich noch besser an den Untergrund an, auf dem es lebt. Nach vier (Männchen) oder fünf (Weibchen) Häutungen verpaart sich die neue Generation. Die Weibchen legen ihre rund 120 Eier kurz nach der Paarung in die Erde. Die erwachsenen Tiere sterben mit den ersten Frösten. Der Zyklus beginnt erneut.
Karg, aber nicht kahl
Das Tier des Jahres mag es heiss, aber nicht zu heiss. Wichtig für die Blauflügelige Ödlandschrecke ist eine lockere Krautschicht. Sie schützt die wechselwarmen Tiere vor übermässiger Erwärmung. Die im Boden abgelegten Eier sind ausserdem weniger der Gefahr ausgesetzt, dass sie austrocknen könnten. Auch der Tisch ist gedeckt: Gräser und Kräuter stehen auf dem Speiseplan der blauen Fliegerinnen. Gelegentlich wird auch Aas nicht verschmäht.
Fliegendes Juwel
Bei der Beobachtung in der Natur machen die kräftig blau gefärbten Flügel mit den schwarzen Querbinden das Tier des Jahres 2023 unverwechselbar. Es gibt zwar eine Verwandte, die ebenfalls karge Lebensräume bevorzugt und blau trägt. Es ist die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans). Ihr Blau ist aber sehr blass und die kräftige schwarze Querbinde fehlt ganz.
Ödlandschrecke, wo bist du?
In der Schweiz ist das Tier des Jahres 2023 vor allem im Wallis, im Tessin und entlang des Jurasüdhangs verbreitet. Doch auch in einigen anderen Regionen der Schweiz ist das Insekt anzutreffen. Die Blauflügelige Ödlandschrecke besiedelt geeignete Lebensräume von den Talböden bis gegen 2000 m.ü.M. Übrigens: Die Art ist gesetzlich geschützt und darf nur mit kantonaler Bewilligung für Ausbildungs- und Forschungszwecke gefangen werden.
Bedrohte Verwandtschaft
Die 115 in der Schweiz heimischen Heuschreckenarten sind nur eine kleine Gruppe innerhalb der rund 30'000 bisher bekannten einheimischen Insektenarten. Die Artenvielfalt und besonders auch die Menge an Insekten nimmt in der Schweiz seit Jahrzehnten dramatisch ab. 60 Prozent der Insektenarten sind bedroht. Heuschrecken sind ein unbestechlicher Gradmesser für diese Entwicklung.
Ist heisser besser?
Viele Insektenarten mögen es heiss – so auch die Blauflügelige Ödlandschrecke. Ist also die Klimakrise eine Chance für die bedrängte Insektenwelt? Die Antwort der Fachwelt ist ein klares Nein. Zwar werden Arten wie die Blauflügelige Ödlandschrecke in der Schweiz neue Lebensräume besiedeln können, wenn es heisser wird. Andere Arten dagegen geraten in Bedrängnis. So zum Beispiel all jene Tiere, deren Larven in kühlen, sauberen Gewässern gedeihen. Auch indirekt droht Gefahr: Wenn die Schweiz die letzten Naturjuwelen dem Stromhunger der Wegwerfgesellschaft opfert, gehen auch viele wertvolle Lebensräume für Insekten verloren.
Mehr Schutz für Ödlandschrecke & Co.
Die artenreichen Auenlandschaften mit ihren weiten Schotterflächen sind in der Schweiz bis auf wenige Reste der Wasserkraftnutzung und den Flussverbauungen zum Opfer gefallen. Ein ähnliches Schicksal erlitten die Trockenwiesen und -weiden: Überbauung, Düngung oder Verwaldung haben sie innert 100 Jahren um 95 Prozent reduziert. Die verbliebenen Naturjuwelen müssen ungeschmälert erhalten bleiben! Renaturierungen von Auen und eine naturfreundlichere Landwirtschaft sind das Gebot der Stunde. Wo die Blauflügelige Ödlandschrecke menschengemachte Ersatzlebensräume besiedelt hat, braucht es eine angepasste Nutzung und Pflege.
Das tut Pro Natura für die Blauflügelige Ödlandschrecke
Pro Natura sichert über 700 Naturschutzgebiete in allen Regionen der Schweiz. In einigen dieser Gebiete kommt auch das Tier des Jahres 2023 vor:
- Weilmatten (Riehen BS)
- Auengebiet Bolle di Magadino (TI)
- Romauen im Münstertal (GR)
- Vallon de Nant (VD)
Politisch kämpft Pro Natura für eine Schweiz, in der sich alle heimischen Arten wohl fühlen. Besonders aktuell ist unsere Arbeit…
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…für Klimaschutz mit Weitblick
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