Neue Jagdverordnung: Pro Natura schaut genau hin
Die Jagdverordnung in Kürze:
Ohne fachliche Grundlage sieht die Verordnung vor, dass der Wolfsbestand präventiv auf zwölf Rudel reduziert werden kann. Wölfe könnten demnach nur einen winzigen Teil des geeigneten Lebensraums in der Schweiz besiedeln. Der Bund gibt für die Regulierung sein Einverständnis und definiert in Grundzügen, welche Aufwendungen beim Herdenschutz als zumutbar gelten. Die gesamten Neuerungen sollen 2024 – während sie bereits in Kraft sind – in eine nachträgliche Vernehmlassung gehen und am 1. Januar 2025 definitiv in Kraft treten.
Pro Natura kritisiert die eklatanten Widersprüche zwischen den geäusserten Absichten des Parlaments für das Jagdgesetz und deren Umsetzung in der Jagdverordnung. Es fehlen zugesicherte Voraussetzungen wie der Schutz des Wolfes vor lokaler Ausrottung oder die flächige Umsetzung des Herdenschutzes.
Was macht nun Pro Natura?
Pro Natura erwartet von den Kantonen, dass sie ihren Handlungsspielraum mit Augenmass wahrnehmen und sich auf die Dezimierung jener Rudel beschränken, die nachweislich grosses Schadenpotenzial haben. Pro Natura ist im Gespräch mit den Ämtern und Regierungen der grossen «Wolfskantone» und wird im äussersten Fall nicht zögern, gegen Entwicklungen, die den längerfristigen Erhalt des Wolfes gefährden, gerichtlich vorzugehen.
Wie reagieren die Kantone?
Kurz nach der Vorstellung der neuen Jagdverordnung durch Bundesrat Albert Rösti hat der Kanton Graubünden angekündigt, vier Wolfsrudel vollständig eliminieren zu wollen. Bei weiteren Rudeln werden Jungwölfe geschossen; insgesamt sollen 27 Wölfe erlegt werden.
Der Kanton Wallis sorgte für Aufsehen, weil er vor der offiziellen Präsentation der Verordnung bereits ein Formular an die Jägerschaft verschickt hatte. Darin konnte im Multiple-Choice-Verfahren angekreuzt werden, welche Rudel man gerne ins Visier nehmen möchte. Später kommunizierte er, dass sieben von 13 Wolfsrudeln eliminiert werden sollen. Und auch der Kanton St. Gallen will die einzige Wolfsfamilie im Kanton beseitigen.
Andere Kantone reagierten zurückhaltender. Der Kanton Waadt etwa betonte, keinen Paradigmenwechsel vorzunehmen und weiterhin an der Koexistenz von Mensch und Wolf festhalten zu wollen.
Pro Natura kann vom Verbandsbeschwerderecht Gebrauch machen. Mit einer Beschwerde kann Pro Natura ein Projekt nicht verhindern, sondern nur auf seine Rechtmässigkeit überprüfen lassen.
Damit können wir im besten Fall eine Gerichtspraxis etablieren, welche die Rechtsgrundlagen wieder strikter auslegt und dem Wolfsschutz - im Rahmen von Gesetz und Verordnung - wieder mehr Gewicht gibt. Das wird allerdings aufgrund der langwierigen Gerichtsprozesse Jahre dauern. Abschüsse verhindern können wir nur, falls unserer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gewährt wird.
Die Abschussverfügungen der Kantone sind seit Freitag, 1. Dezember, öffentlich einsehbar. Wir sind dabei, diese juristisch zu prüfen und zu entscheiden, ob und welche Verfügung wir mittels Beschwerde auf ihre Rechtmässigkeit prüfen lassen.
Die Berner Konvention ist ein wichtiges internationales Abkommen, das im nationalen Recht berücksichtigt sein muss. Sie hat aber keine Durchsetzungskraft. Wir legen daher momentan den Fokus auf die Anwendung des nationalen Rechts. Die Berner Konvention schliesst im Übrigen präventive Eingriffe in den Wolfsbestand nicht aus.
Der Volksentscheid 2020 hat zu einem Grossteil weiterhin Bestand. Luchs, Biber und weitere geschützte Tiere können nicht präventiv dezimiert werden und der Bund hat weiterhin das letzte Wort bei den Eingriffen in den Wolfsbestand.
Beim Wolf wird allerdings deutlich massiver eingegriffen, als es vor der Abstimmung versprochen wurde.
Die Umweltverbände hatten Hand zu einer Konsenslösung geboten und eine auch von Jagd-, Forst- und Landwirtschaftsverbänden breit abgestützte Lösung erarbeitet. Bei dieser hätte zwar ebenfalls präventiv in den Bestand eingegriffen werden können, aber nur um “grosse Schäden” oder eine plausible Gefährdung von Menschen zu verhindern. Dieser Vorschlag wurde vom Parlament vom Tisch gewischt und dafür eine erneute, viel extremere Anpassung des Jagdgesetzes durchgesetzt, die eine eigentliche “Quotenjagd” auf Wölfe ermöglicht.
Die Revision von 2020 war sehr schlecht. Zusätzlich zum Wolf drohten auch gegen Luchs, Biber und diverse weitere Arten massive Abschüsse. Dies konnten wir mit dem Referendum verhindern. Zudem verlangt die neue Gesetzesrevision 2022, dass der Bund Wolfsregulierungen bewilligen muss und dass vorgängig der Herdenschutz umgesetzt sein muss.
Mit dem neuen Jagdgesetz (JSG) ist eine Koexistenz von Landwirtschaft und Wolf grundsätzlich möglich. Das Problem ist vielmehr die dazugehörige Jagdverordnung (JSV) resp. wie diese nun von den Behörden interpretiert wird. Pro Natura ist weiterhin überzeugt, dass in der Wolfsdebatte nichts an einem konstruktiven Miteinander vorbeiführt und wir sind weiterhin gewillt, dies mit allen konsensorientierten Interessenvertreter:innen aus Politik und Gesellschaft weiterzuverfolgen.