Dokumentarfilm Becoming Animal: «Langsam, aber sicher und bestimmt»
Man weiss nie, wo Peter Mettler den Anruf annehmen wird: in seiner Heimatstadt Toronto, in Zürich, Delhi oder in der Arktis? Mettler ist sehr oft auf Reise, auf Entdeckungstour für einen Film, dessen Drehbuch er noch nicht kennt. Am Telefon aber ist von Unruhe oder Getriebensein nichts zu hören. Mettler spricht wie einer, der im Lot sitzt, mit warmer ruhiger Stimme.
Immer wieder wechselt er von Schweizerdeutsch ins Englische, meist dann, wenn er um Präzision bemüht ist. Er sei mit dieser Dualität oder gespaltenen Identität aufgewachsen, erzählt der 60-Jährige, dessen Eltern in den 1950er-Jahren aus der Schweiz nach Kanada emigriert sind. Und so funktionierten auch seine Filme – über Perspektivenwechsel, Vergleiche, Assoziationen.
Naturfilme nach neuem Muster
Auch sein Neuling «Becoming Animal», ein audivisueller Essay über die Beziehung des Menschen zur Natur, folgt diesem Mechanismus. Bereits im Einstieg bricht der Film mit den Regeln der klassisch-romantischen Naturdoku. Man sieht, wie ein Elch Gras kaut, minutenlang und ohne Schnitt – in «animal time», wie Mettler erklärt. Die ist schwer auszuhalten, erwartet man doch, dass etwas passiert, irgendeine Aktion, die den Beginn einer Geschichte markiert. Aber dazu kommt es nicht, aus gutem Grund: Peter Mettler und Co-Regisseurin Emma Davie wählten die lange Einstellung (oder an anderer Stelle des Films ein psychedelisches Flimmern), um uns «einen neuen Zugang zur ‚more than human world‘» zu eröffnen.
Peter Mettler nimmt damit einen Faden auf, den der amerikanische Philosoph David Abram in seinem Buch «Becoming Animal» ausgelegt hat. Auf das Buch aufmerksam gemacht habe ihn die schottische Filmemacherin Emma Davie. Im Wissen, dass ihn dasselbe Interesse treibe an den Zusammenhängen von Bewusstsein, Technologie, Natur und Spiritualität. Mettler las das Buch – und war begeistert. So entstand die Idee für ein gemeinsames Filmprojekt. In «Becoming Animal» erläutert David Abram vor der Kamera, wie die Sprache und die Technologie unsere Wahrnehmung prägen. Wie sie sich als Barrieren zwischen uns Menschen und die «more than human world» geschoben haben.
Lieber fragen als antworten
Aus der einst animistischen Verbundenheit ist eine kühle, brüchige Fernbeziehung geworden – mit den bekannten Folgen, wie sie auch im Film «Petropolis» von Peter Mettler zu sehen sind. 2008 hat der Kanada-Schweizer im Auftrag von Greenpeace den Teersandabbau in Alberta aus einem Helikopter gefilmt. «Nur aus dieser Perspektive sind die gewaltigen Eingriffe in die Landschaft fassbar», sagt er. Die Luftaufnahmen hat er anschliessend zu einem hypnotischen Film geschnitten, der fast ohne Kommentare auskommt.
Greenpeace wusste, dass sie mit Mettler keinen Agitprop-Filmer engagieren, sondern einen Künstler, der auf die Kraft des Erlebens, der Bilder und Töne setzt, der lieber fragt als antwortet. Das Wagnis zahlte sich aus: «Petropolis» avancierte zu einem Internet-Hit, lief im Fernsehen und ging mit Musikerlegende Neil Young auf Protesttour. Den Sandabbau konnte der Film freilich nicht stoppen. Zu mächtig ist das Geschäft mit dem Öl, zu distanziert unsere Beziehung zur Natur.
Die Natur über die Technik erleben
Wie also können wir das «Tier in uns» wiederentdecken und unsere Beziehung zur Natur intensivieren? Peter Mettler wählt hierfür einen paradoxen Ansatz; mithilfe der Technologie, in seinem Fall: Kameras, Mikrofone, Laptop. Derart ausgestattet fährt er im Herbst 2016 mit Emma Davie und David Abram in den Grand Teton National Park (USA), um erste Aufnahmen für «Becoming Animal» zu drehen.
Das technische Equipment wird er später gezielt in Szene setzen: An mehreren Stellen des Films sind Kameras und Mikrofone, Navigationshilfen, Autos und Flugzeuge zu sehen. «Wir erleben die Natur über die Technik», sagt er. «Das wollte ich zeigen». Gleichzeitig macht der Regisseur deutlich, dass ein Mensch hinter der Kamera ist, einer, der keucht, stolpert, flüstert und sich wundert, etwa über die Oberton-Gesänge eines Elchbullen. So schlüpft der Zuschauer in die Haut des Filmemachers und erkundet mit diesem das «lebendige Land».
Video-Künstlerin Pipilotti Rist, die mit Mettler mal eine Künstler-WG im Appenzell teilte, schrieb über dessen Werk: «Die Filme von Peter Mettler sehen lustigerweise aus wie er selber: gross, schön und sanft. Sie bewegen sich langsam, aber sicher und bestimmt. Wie ein Tier in Trance, das viel denkt.» Nun möchte man von Mettler wissen, ob er sich auch ohne Kamera in der Natur bewegen kann, sich ihr «nackt» hingeben und sie ohne Grüblerei geniessen kann? «Oh ja», sagt er. «Jedes Jahr fahre ich in die Wildnis Kanadas und mache Kanu-Touren. Das gibt mir Energie und Ruhe.»
NICOLAS GATTLEN ist Redaktor des Pro Natura Magazins.
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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