Kuhherde von hinten, daneben eine wehende Schweizer Fahne
14.11.2018 Biodiversitätskrise

«Mission B»: Damit wir nicht im Kuhmist ersticken

Eine Kuh hinterlässt täglich zehn Fladen von je zwei Kilogramm Gewicht auf der Weide. Würden diese liegen bleiben, müssten wir in Gummistiefeln durch die Weiden waten. Jährlich würde die Fläche des Bodensees unter dem Kuhmist verschwinden. Doch ganz unterschiedliche Fladenbewohner sorgen dafür, dass wir nicht im Mist versinken.

Kaum liegt der dampfende Fladen da, landen die Gelben Dungfliegen Scathophaga stercoraria auf ihm. Auf dem Kuhfladen treffen sich die Geschlechter zum Rendez-vous. Anstatt feinen Weins, wird Kot geschlürft. Nach der Paarung deponieren die Weibchen mit ihren zarten Legeröhren die Eier im Fladen. Die fürsorgliche Fliege Morellia aenescens legt ihre Eier in blasenartige Kammern. Damit verschafft sie dem Nachwuchs in dem stickigen Fladen Luft zum Atmen. Die Zeit des Eierversteckens ist vorbei, sobald der Fladen von einer trockenen Kruste umgeben ist. Denn die zarten Legeröhren können nicht in die feste Kruste eindringen.

Schon nach zwei Tagen tummeln sich unzählige Maden und Larven im Fladen. Sie mampfen am saftigen Fladen, fallen über ihre Mitbewohner her oder weiden den Pilzbewuchs auf dem Fladen. Etwa 100 Käfer- und 100 Fliegenarten findet man im Kuhfladen. Der Gemeine Dungkäfer Aphodius fimetarius verbringt hier sein ganzes Leben. In den Fladen eingekuschelt übersteht er sogar den Winter. Langsam krabbelt der kleine Käfer mit den roten Flügeldecken über den Fladen.

Tunnelbauer und Nestsucher

Plötzlich stürzt sich eine Hornissen-Raubfliege Asilus crabroniformis auf den Käfer. Ein Gesichtsbart schützt die Augen der Raubfliege vor der (noch) zappelnden Beute. Bei anderen Fladenbewohnern ist der Käfer wegen seiner Arbeit willkommen. Der Tunnelbauer durchlüftet den Fladen und schafft so sprichwörtlich Luft für die Mitbewohner. Zudem sind die gegrabenen Gänge bei den kleineren Fliegenarten als Eilegestätte begehrt. Darin deponieren die Schwingfliegen Sepsidae ihre mit einem Atmungsrohr ausgerüsteten Eier.

Fadenwürmer Nematoda richten sich auf dem Dung auf und «winken den Käfertaxis». Festgeklammert an die Flügeldecken des Gemeinen Dungkäfers erreichen sie im Flug den nächsten Fladen. Ein Ortswechsel kann sich für die Fadenwürmer lohnen, wenn sich im Fladen der Mikropilz Duddingtonia flagrans ausbreitet.

Mit seinen klebrigen Schlingen fängt der Mikropilz die Fadenwürmer. In seinen Netzen verfangen sich auch Magenwürmer der Kühe. So verhindert der Mikropilz, dass diese neue Kühe infizieren können. Für uns ist das gut, denn die Magenwürmer können erhebliche Verluste in der Fleischproduktion verursachen.

Der alternde Fladen wird zusehends von verschiedenen Pilzarten besiedelt. Neue Gäste ziehen in die «Fladen-WG» ein.

Der Zwergkäfer Ptenidium pusillum weidet den Pilzrasen ab und fördert damit das Wachstum der Pilze. Letztere bauen den Fladen weiter ab. Am Ende eines «Dunglebens» wandern zahlreiche Tiere aus der Umgebung ein. Zu ihnen gehört der Kleine Wiesenwurm Allolobophora caliginosa. Täglich verdaut er ein Prozent seines Gewichtes an Dung.

Aus Kuhdung wird Humus

Nach etwa 40 Tagen ist der Dunghaufen verschwunden. Etwa 6'000 verschiedenste Fladenbewohner haben dazu beigetragen, dass aus dem Kuhmist wertvoller Humus wurde. Diese Tiere, die wir meist als eklig empfinden, sind Teil unserer Biodiversität. Sie sind wichtig, damit unsere Weiden grün bleiben.

Ohne funktionierende Kuhfladenfauna würde jährlich in der Schweiz eine Fläche so gross wie der Bodensee unter Kuhfladen verschwinden. Erhalten wir die Biodiversität, damit wir nicht im Kuhmist versinken – jede Art zählt!

Kuhfladen auf Weide
Nach 40 Tagen und Tausenden von Besuchern ist der Kuhdung abgebaut.

Weiterführende Informationen

Info

«Mission B – für mehr Biodiversität» ist ein Schwerpunktthema der SRG rund um die Biodiversität in der Schweiz. Das Projekt wird von verschiedenen Organisationen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Naturschutz unterstützt; Pro Natura berät die Redaktionen fachlich.