Neue Brücken braucht das Land
Im Jahr 2001 hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) 303 überregionale Wildtierkorridore in der Schweiz auf ihre Durchgängigkeit untersucht. Das ist sozusagen das Nationalstrassennetz der Wildtiere. Das Fazit war ernüchternd. 28 Prozent der Korridore waren komplett unterbrochen, 56 Prozent beeinträchtigt und nur 16 Prozent in gutem Zustand. Beim Bau der Autobahnen waren die Querungsmöglichkeiten für Wildtiere schlicht vergessen worden. Wenn die Wege der Wildtiere zerschnitten sind, können diese nicht mehr zwischen ihren Futter-, Ruhe- und Fortpflanzungsplätzen wandern. Sie können sich nicht in geeignete Lebensräume ausbreiten und der wichtige Genaustausch zwischen Tiergruppen bleibt aus. Die Folgen gehen bis zum lokalen Aussterben von Tierarten in abgetrennten Gebieten. Vor diesem Hintergrund hat das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) ein umfangreiches Sanierungskonzept für die Wildtierkorridore beschlossen.
Die Zerstückelung nimmt zu
Der Bericht des Bafu aus dem Jahr 2011, zehn Jahre nach der ersten Bestandsaufnahme, war niederschmetternd. Zwar konnten einige Korridore dank neuer Über- oder Unterführungen aufgewertet werden, das Verkehrswachstum und der Strassenbau führten jedoch zur weiteren Zerstückelung der Landschaft. Unter dem Strich verschlechterte sich die Situation sogar etwas. Die Sanierung der Wildtierkorridore ging massiv zu langsam voran.
Der nachträgliche Bau von Wildtierbrücken über Autobahnen war bisher nur mit längeren Strassensperrungen möglich. Der Druck der Auto- und Transportlobby war stärker als die Lobby der Wildtiere, der Verkehr musste rollen. Das führte dazu, dass Wildtierbrücken erst realisiert wurden, wenn der entsprechende Fahrbahnabschnitt sowieso saniert und für mehrere Monate gesperrt werden musste. Aber bis dahin konnte es schon mal 15 Jahre dauern, eine Ewigkeit für Wildtiere, die in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind.
Die Brückenrevolution aus Deutschland
Deutschland zeigt, dass es auch anders geht. Findige Ingenieure haben Wildtierbrücken aus Holzelementen entwickelt. Arbeiter fertigen die riesigen Bögen in grossen Werkstätten. Lastwagen transportieren die fixfertigen Teile vor Ort, grosse Kräne stellen die Bögen auf Betonfundamente. Die Sperrung der Autobahn an nur zwei Wochenenden genügt, um die Bogenkonstruktionen der Brücke aufzustellen, ansonsten rollt der Verkehr auf allen Fahrspuren.
Endlich hat der Bund die Möglichkeit, mit kurzer Vorlaufzeit und minimaler Verkehrsbehinderung Wildtierbrücken zu errichten. Pro Natura fordert die Verantwortlichen dazu auf, umgehend davon Gebrauch zu machen und die längst überfällige Sanierung der überregionalen Wildtierkorridore voran zu treiben.
Das Bundesamt für Strassen (Astra) hat die neuen Möglichkeiten erkannt und plant die ersten drei Holz-Wildtierbrücken in den Kantonen Aargau und Luzern. Der Weg ist der richtige, es warten noch viele Passagen über Autobahnen, die sobald wie möglich wieder für Wildtiere gangbar gemacht werden müssen.
Günstig, lokal und klimafreundlich
Holzbrücken bieten noch weitere Vorteile gegenüber den bisher üblichen Betonkonstruktionen. Sie sind ästhetische Bauwerke, die zur Sensibilisierung der Bevölkerung für die Bedürfnisse der Wildtiere beitragen können. Einheimisches Holz ist ein nachwachsender Rohstoff mit einer guten CO2-Bilanz. Zusätzlich kann eine hohe Wertschöpfung in der Schweiz generiert werden.
Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass die Lebensdauer von gut konstruierten und gewarteten Holzbrücken problemlos 60 Jahre erreichen kann und damit absolut konkurrenzfähig ist zu Betonbauten. Und die Baukosten von Holzbrücken sind, gemäss Erfahrungen aus Deutschland, rund 20 Prozent niedriger als die von bisher üblichen Betonkonstruktionen.
Ein Klacks gegenüber einem Kilometer Autobahn
Apropos Kosten: Wildtierbrücken erscheinen, isoliert betrachtet, eher teuer. Die Kosten der neuen, 50 Meter breiten Holz-Wildtierbrücke, die 2021 bei Rohr-Hunzenschwil (AG) über die A1 gezogen wird, werden auf 13,9 Millionen Franken veranschlagt. Diese Kosten müssten aber integraler Bestandteil jedes Strassenbauprojekts sein und in der Gesamtrechnung auftauchen. Wenn man die Kosten einer Wildtierbrücke in Relation setzt zu den Gesamtkosten eines Autobahnkilometers, erscheint der Betrag für die Brücke bei weitem nicht mehr so gewaltig. Ein Kilometer Schweizer Autobahn kostet im Durchschnitt 250 Millionen Franken; Brücken- und Tunnelabschnitte eingeschlossen. Rund 10 Millionen Franken zur Förderung der Wildtiere und der Biodiversität stehen dann in einem durchaus vertretbaren Verhältnis.
JAN GÜRKE koordiniert als Projektleiter Campaigning die Pro Natura Kampagne «Freie Bahn für Wildtiere!»
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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