Winter im Saanenland Matthias Sorg
10.01.2018

«Nur auf dem Papier der Nachhaltigkeit verpflichtet»

Sion bewirbt seine Olympia-Kandidatur als nachhaltig. Doch können Olympische Spiele überhaupt nachhaltig sein? Der Wirtschaftsprofessor und Olympia-Experte Andrew Zimbalist verneint dies entschieden.

Pro Natura Magazin: Sion 2026 verkauft seine Kandidatur als Wendepunkt für vernünftige und nachhaltige Spiele. Ist Nachhaltigkeit wirklich ein Schlüsselkriterium für das Internationale Olympische Komitee (IOC)?
Andrew Zimbalist:
Nein, das IOC möchte seine Spiele zwar gerne als nachhaltig vermarkten, aber wirklich nachhaltige Spiele würden zu vielen Schlüssel­kriterien des IOC widersprechen.

Nämlich?
Das IOC sonnt sich gerne in neuen, leuchtenden und kunstvollen Gebäuden. Es lässt gerne gigantische Athletenunterkünfte bauen. Es liebt grosse Auftritte in schicken Medienzentren, die alleine bis zu einer Milliarde Dollar kosten. Die Spiele verschlucken auch immer sehr viel unbebautes Land.

Ist die Agenda 2020, in welcher sich das IOC mitunter zur Nachhaltigkeit verpflichtet, also eher eine Art PR-Alibi?
Definitiv. Das IOC hat sich zwar auf dem Papier der Nachhaltigkeit verpflichtet, aber seither in diesem Bereich herzlich wenig unternommen, die überdimensionierten Spiele in Sotschi waren der beste Beweis dafür. Es sind seither keine Standards für Nachhaltigkeit definiert worden und auch keine Bestrafungsmöglichkeiten, wenn die ökologischen Ziele verfehlt werden.

Wie könnten solche Standards lauten?
Diese könnten zum Beispiel definieren, welche CO2-Belastung die Spiele maximal produzieren dürfen oder welchen Anteil am Gesamtverkehr die öffentlichen Verkehrsmittel abdecken sollen. Das IOC schreit es lieber von allen Berg­gipfeln, wenn in seltenen Fällen einmal ein wirklich nachhaltiges Bauwerk kons­truiert worden ist, etwa mit einer integrierten Stromproduktion oder rezyklierten Baumaterialien. Unterzöge man jedoch die Verpflichtung des IOC zur Nachhaltigkeit einem rigorosen Test, würde es kläglich scheitern. Wenn die Spiele wirklich nachhaltig sein sollten, müsste man je einen Austragungsort für die Sommer- und Winter­spiele definieren und die Olympiaden immer wieder dort durchführen. Der Austausch der Kulturen kann dennoch stattfinden, im Fernseh- und Inter­netzeitalter bieten sich dazu neue Möglichkeiten. 

Sie beschreiben in Ihrem Buch das IOC als einen nicht demokratischen Verein von meist sehr wohlhabenden Leuten. Haben sich diese bisher durch Engagement für die Umwelt ausgezeichnet? 
Wenn man die Biografien der Mitglieder studiert, lässt sich darin herzlich wenig über Engagement für die Umwelt finden. Die Entscheide des IOC spiegeln diese Tatsache wider. 

Wie gross ist der Wunsch des IOC, nach Sotschi die Spiele wieder in ein nicht autoritär regiertes Land zu vergeben?
Das IOC kümmert sich sehr um sein Image, das unter den vergangenen Vergaben der Austragungsorte gelitten hat. Es ist nun erleichtert, bei den kommenden Sommerspielen mit Paris und Los Angeles wieder zwei « saubere » Gast­geber zu haben. Aber unter dem Strich gibt es wegen des Gigantismus, den Res­triktionen und den ausufernden Kosten immer weniger Kandidaturen in demokratisch regierten Ländern, deshalb wäre eine Schweizer Kandidatur wohl gerne gesehen. 

Könnte im Gegenzug eine Bewerbung weniger kritisch beurteilt werden?
Das ist durchaus möglich, denn das IOC geht bei der Vergabe des Austragungsorts nicht nur rational vor. Es geht auch um politische Aspekte, persönliche Beziehungen, mitunter leider mit korrupten Elementen. 

Russland liess sich die letzten Winterspiele in Sotschi mindestens 50 Milliarden Franken kosten, nun sagt Sion, dass es das Ereignis für zwei Milliarden durchführen kann. Tönt das für Sie realistisch?
Beim IOC besteht kein standardisiertes Berechnungsverfahren. Das eröffnet den Austragungsorten die Möglichkeit, Kosten­abrechnungen individuell zu gestalten. Tokyo (Austragungsort der Sommerspiele 2020) rapportierte dem IOC jüngst, dass es auf Kosten von 30 Milliarden zusteuert. Das IOC antwortete, dass das nicht vertretbar sei, worauf Japan nun die Investitionen in sein ordentliches Budget packt und behauptet, dass alle Bauten für die Olympiade ohnehin errichtet worden wären. In Peking (Winterspiele 2022) geschehen dieselben Tricks. Bevor ich die tiefen Kosten der Schweizer Kandidatur also beurteilen könnte, müsste ich dieses Dossier sehr genau studieren. 

Raphael Weber, Chefredaktor Pro Natura Magazin.


Andrew Zimbalist: Circus Maximus; the Economic Gamble Behind Hosting the Olympics and the World Cup.
Brookings Institution Press, 224 Seiten, Englisch, 
ISBN 978-0815727248

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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