Weniger Pestizide für gutes Trinkwasser – das fordert die Trinkwasserinitiative Michel Roggo
13.06.2019

Studie: Was bedeutet die «Trinkwasserinitiative» für die Landwirtschaft?

©Michel Roggo

Mit der «Trinkwasserinitiative» steht ein Richtungsentscheid in der Schweizer Landwirtschaft bevor. Pünktlich zur Debatte im Nationalrat veröffentlicht der Bund eine Studie, welche die wirtschaftlichen Auswirkungen untersucht. Pro Natura-Experte Marcel Liner wirft einen kritischen Blick auf die Studie.

2'000 Tonnen Pestizide, 110'000 Tonnen Stickstoff-Überschuss, 6'000 Tonnen Phosphor-Überschuss: Es sind riesige Mengen an Hilfsmitteln, welche durch die Schweizer Landwirtschaft jedes Jahr zu viel in die Umwelt gelangen. Diese enormen Mengen belasten die Biodiversität, die Gewässer und die Böden. Schon lange sind diese Zahlen bekannt, dennoch bewegte sich die Politik bislang zu wenig, die Probleme anzugehen.

Die «Trinkwasserinitiative» könnte dies nun ändern: Innert kürzester Zeit kamen die nötigen Unterschriften zusammen, in der laufenden Sommersession am 18. und 19. Juni 2019 berät der Nationalrat die «Trinkwasserinitiative» zusammen mit der Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide». Nimmt das Schweizer Volk eines oder beide Anliegen an, hätte dies grosse Auswirkungen auf die Schweizer Landwirtschaft.

Zeitgleich mit der parlamentarischen Debatte veröffentlicht Agroscope, das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, eine Studie, die sich mit der «Trinkwasserinitiative» auseinandersetzt. Ein schwieriges Unterfangen – dies zeigt die Einschätzung von Marcel Liner, Landwirtschaftsexperte von Pro Natura. Er hat die Entstehung der Studie als Mitglied der Begleitgruppe eng verfolgt.

Marcel Liner, welches Ziel verfolgt die Agroscope-Studie?

Die Studie von Agroscope schätzt auf der Basis von Modellen und Annahmen die Folgen für die Landwirtschaft ab, welche sich durch die «Trinkwasserinitiative» ergeben würden.

Was verspricht man sich von dieser Studie?

Das Resultat ist ein wertvoller Diskussionsbeitrag. Die beschriebenen Szenarien 1 bis 9 zeigen gut auf, welche Rahmenbedingungen bei einer Annahme der Initiative angepasst werden müssten – damit die Ökologie gefördert wird, gleichzeitig aber auch die Einkommen für die Bäuerinnen und Bauern verbessert würden.

«Der Handlungsbedarf ist schon lange bekannt, doch die Mühlen mahlen viel zu langsam.»

Marcel Liner, Landwirtschaftsexperte Pro Natura

Porträtaufnahme von Marcel Liner vor Bundeshaus Manu Friedrich

Die Studie kommt zu interessanten Ergebnissen. Welche davon sind für Pro Natura besonders spannend?

Wenn die «Trinkwasserinitiative» angenommen wird, kann die Schweiz je nach Ausgestaltung der Rahmenbedingungen die angestrebten ökologischen Verbesserungen erreichen – was für die Natur und die Biodiversität in der Schweiz ein wichtiger und dringend notwendiger Schritt wäre. Das ist mein Fazit der Studie. Und das ist auch das Ziel der «Trinkwasserinitiative».

Sie sind aber auch der Meinung, dass die Studie kritisch hinterfragt werden muss. Weshalb?

In der Studie werden Szenarien angenommen, die der «Trinkwasserinitiative» widersprechen. So war es beispielsweise nie das Ziel der Initiative, dass der Bund die Direktzahlungen an die Landwirte kürzen soll. Laut Agroscope wären ausserdem keine Biomittel gegen Schädlinge mehr erlaubt – entsprechend kommt es zu übertrieben hohen Ertragsverlusten bei einigen Produkten. Aber auch das sieht die «Trinkwasserinitiative» nicht vor.

Wie einfach wäre die Umsetzung für die Landwirtinnen und Landwirte?

Es gibt natürlich grosse Herausforderungen. Überall dort, wo der Boden intensiv genutzt wird, muss ein Umdenken stattfinden. Und das ist an vielen Orten der Fall: Obst, Gemüse, Kartoffeln, Zuckerrüben, Ölsaaten – hier setzen die Bäuerinnen und Bauern teilweise in grossen Mengen Pestizide ein. Mit der Annahme der «Trinkwasserinitiative» wäre dies nicht mehr möglich – oder die Landwirte verlieren die Subventionen vom Bund.

Was würde passieren, wenn die Initiative scheitert – bleibt dann alles beim Alten?

Der Landwirtschaftssektor muss sich verändern – so oder so. Von den 13 Umweltzielen, die sich die Landwirtschaft gesetzt hat, wurde bisher noch kein einziges erfüllt. Der Handlungsbedarf ist also schon lange bekannt, doch die Mühlen mahlen viel zu langsam. Und die Agrarlobby im Parlament lehnt die Lösungsvorschläge immer wieder ab. Die Agrarpolitik ab 2022, die sogenannte «AP22+», wird hier die nötigen Leitplanken setzen müssen. Wenn die «Trinkwasserinitiative» scheitert, nimmt der Druck vielleicht kurzfristig ab – der Handlungsbedarf bleibt aber bestehen.

Das fordert die «Trinkwasserinitiative»

Die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» (Trinkwasserinitiative) fordert einen Umbruch in der Schweizer Landwirtschaft. Finanzielle Unterstützung durch den Bund sollen nur noch jene Betriebe erhalten, die

  • keine Pestizide verwenden
  • ihren Tieren nicht vorsorglich Antibiotika verabreichen
  • nur so viele Tiere halten, dass sie das nötige Futter selbst produzieren können.

Mit diesen Massnahmen wollen die Initianten die Qualität des Schweizer Trinkwassers nachhaltig sichern.

Der Delegiertenrat von Pro Natura hat einstimmig die JA-Parole zur «Trinkwasserinitiative» und zur Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» beschlossen. Falls sich das Parlament doch noch auf einen substanziellen Gegenvorschlag einigen kann, würde Pro Natura diesen Weg auch begrüssen.

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