Acker am Wald Matthias Sorg
20.10.2021 Umweltpolitik

Wenn die Problemverursacher ein Teil der Lösung sein wollen

Agrochemie-Multis, die mit ihren synthetischen Giften mitverantwortlich für das grosse Insektensterben sind, wollen nun eine vermeintlich ungiftige Generation von Pestiziden auf den Markt bringen. Doch Skepsis und vor allem klare Richtlinien sind angebracht.

Einer der Hauptgründe für den massiven Rückgang der Insekten ist der breitflächige Einsatz von Pestiziden in der konventionellen Landwirtschaft. Die Giftsprüherei lässt nicht nur vermeintliche Schädlinge sterben, sondern viel zu oft auch harmlose Falter, Bienen und Käfer. 

Ausgerechnet die Produzenten dieser Pestizide propagieren nun aber die giftfreie Zukunft: Konzerne wie Bayer und Syngenta entwickeln einen neuen Typ von Pestiziden, der die Schädlingsbekämpfung naturverträglich und – so die Vision – chemisch-synthetische Gifte überflüssig machen soll.

Was den neuen Typ auszeichnet, ist sein Wirkstoff. Er besteht aus doppelsträngiger Ribonukleinsäure, kurz dsRNA, und somit aus einer Substanz, die mit ihrer Doppelwirkung besticht: Auf der einen Seite ist RNA natürlichen Ursprungs und eigentlich ungiftig – wir nehmen sie täglich mit unserer Nahrung auf. Auf der anderen Seite aber können Firmen sie in ein tödliches Gift verwandeln. 

Gene werden ausgeschaltet

Wie das Umwandeln funktioniert, zeigt sich etwa bei der Bekämpfung des Kartoffelkäfers. Sowohl Bayer wie auch Syngenta haben diesen Schädling im Visier, der bis zu Hälfte der Kartoffelernte vernichten kann. Für die Entwicklung des neuen Giftes identifizieren die Konzerne zuerst ein Gen im Erbgut des Käfers, das für dessen Überleben aktiv sein muss. Dann stellen sie eine dsRNA mit Sequenzen dieses Gens her. Sprühen sie die ­dsRNA nun auf Kartoffelblätter, nimmt der Käfer die Wirkstoffe beim Fressen mit in seine Zellen auf, wo die dsRNA das lebensnotwendige Gen stilllegt. Der Käfer stirbt.

Noch ist kein RNA-Pestizid auf dem Markt. Doch die Botschaft, mit der die Konzerne die Entwicklung begleiten, ist klar: Da RNA eine natürliche Substanz ist und sich spezifisch auf Gene einer Schädlingsart zuschneiden lasse, sei sie ein risikoarmes Mittel für den biologischen Pflanzenschutz.

RNA-Pestizide sollen vermeintliche Schädlinge töten, indem sie bei diesen lebenswichtige Gene desaktivieren. Pro Natura
RNA-Pestizide sollen vermeintliche Schädlinge töten, indem sie bei diesen lebenswichtige Gene desaktivieren.

Unerwünschte Nebenwirkungen

Doch sind die als «Biologika» oder «Biopestizide» ausgelobten RNA-Mittel wirklich risikoarm? Ein Bericht von «Friends of the Earth», dem globalen Dachverband von Naturschutzorganisationen, dem auch Pro Natura angehört, von Ende 2020 weckt Zweifel. Er zeigt, dass auch bei dsRNA «off-target»-Effekte – also Wirkungen auf unbescholtene Insektenarten – zu erwarten sind. Zudem deckt er eine weitere mögliche Nebenfolge auf: Da dsRNA in Pflanzenzellen gelangen und dort deren Erbgut modifizieren kann, könnte sie die Eigenschaften besprühter Pflanzen in unerwünschter Weise ändern.

Und wie steht es um die beworbene Natürlichkeit der neuartigen «Biopestizide»? Nicht wirklich gut, erfolgt doch die Herstellung der dsRNA mit Gentech-Bakterien. Dies kratzt nicht nur an der Botschaft der Konzerne, sie öffnet auch das Szenario, dass Gentech-Bakterien als Rückstände in den Sprühmitteln mit auf die Felder kommen.

Nicht gut steht es auch bei der Datengrundlage für die Risikobewertung. Laut Wissenschaftlern von Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, ist etwa kaum bekannt, wie sich dsRNA im Nahrungsnetz verbreitet und welche Insektenarten von «off-target»-Effekten betroffen sein könnten.

Dünne Informationslage

Auch bei den Nanomaterialien, die von den Konzernen benutzt werden, um die dsRNA wirksamer zu machen, sind kaum Informationen über die Umweltrisiken erhältlich. Dass zudem mehr unabhängige Forschung nottäte, verdeutlichen Forschende der ETH Zürich. Sie haben jüngst mit einer neu entwickelten Methode gezeigt, dass dsRNA in der Umwelt doch nicht so schnell abgebaut wird, wie Industriedaten vermuten lassen.

Regulierung ist ausstehend

Dass es für RNA-Pestizide eine Regulierung braucht, scheint klar. Eine wichtige Rolle bei deren Gestaltung spielt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Sie will ihren Mitgliedsländern, darunter die Schweiz, demnächst Empfehlungen abgeben. Es wird eher erwartet, dass sie schlanke Regeln vorschlägt. Behörden und Politik in der Schweiz sind deshalb gefordert, RNA-Pestizide weniger konzern-, sondern primär naturverträglich zu gestalten.

BENNO VOGEL arbeitet als freischaffender Wissenschaftsjournalist.

 

Viele neue Anwendungsbereiche

RNA ist die Substanz unserer Zeit. Dass sie als Wirkstoff eingesetzt werden kann, ist seit den Covid-19-Impfstoffen weitherum bekannt. Bald dürften wir in vielen Bereichen RNA-­Produkten begegnen. Möglich wird das, weil sich mit mRNA und dsRNA zwei natürliche Zellmechanismen ausnutzen lassen.

Boten-RNA oder kurz mRNA ist eine einzelsträngige Ribonukleinsäure, die die genetische Bauanleitung für Proteine enthält. Wird sie in Zellen eingebracht, löst sie dort den Mechanismus der Translation aus: Die Zelle bildet das Protein, das auf der mRNA codiert ist. Erste Produkte mit mRNA sind die Covid-19-Impfstoffe. Impfstoffe gegen weitere Erreger sowie Therapeutika gegen Krankheiten wie Krebs oder Cystische Fibrose könnten folgen.

Doppelsträngige RNA, kurz dsRNA, enthält Sequenzen, die sich in Genen befinden. Wird sie in Zellen eingebracht, löst sie dort den Mechanismus der RNAi-Interferenz aus: Die Zelle legt das Gen still, das die gleiche Sequenz wie die dsRNA hat, und stoppt damit die Bildung des entsprechenden Proteins. Im Unterschied zur mRNA führt dsRNA also nicht zur Bildung eines Proteins, sondern sie blockiert die Bildung eines Proteins. In der Humanmedizin sind bereits vier Produkte mit dsRNA erhältlich, darunter ein Cholesterinsenker von Novartis. In der Landwirtschaft dürften 2022 die ersten dsRNA-Pestizide auf den Markt kommen. In der Tiermedizin ist ein Mittel gegen die für Bienen tödliche Varroa-Milbe in der Entwicklung. Forschende arbeiten auch an Mitteln gegen invasive Arten wie den Eschenprachtkäfer. Und zu Hause könnte es künftig dsRNA-Biozide gegen Bettwanzen und Kakerlaken geben. Bv

Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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