«Die Zeit ist reif für eine Solaroffensive»
Auf dem Dach der Ecole technique et des métiers in Lausanne eröffnet sich ein herrlicher Blick auf den Genfersee, die Berge und die Dächer der Stadt. Doch das ist nicht der Grund, wieso uns Pascal Affolter hier hinaufgeführt hat. Vielmehr will er uns eine der zahlreichen Fotovoltaikanlagen zeigen, die das Unternehmen Solstis realisiert hat. Diese auf Solarprojekte spezialisierte Firma hatte er vor mehr als 25 Jahren mit seinem Studienkollegen Jacques Bonvin in Lausanne gegründet.
Von der Nische zum Mainstream
Blickt man nach Westen, sieht man ein weiteres, vollständig mit schwarzen Zellen bedecktes Dach in der Morgensonne glänzen. «Diese Anlage stammt nicht von uns. Vor einem Vierteljahrhundert waren wir Pioniere, aber inzwischen gibt es viele Anbieter. Und das ist auch gut so.»
2020 verzeichnete die Fotovoltaik in der Schweiz einen Rekordzuwachs von fast 50 Prozent – umgerechnet etwa 476 Megawatt – im Vergleich zum Vorjahr. Für diesen Schub gibt es drei Gründe, sagt der Solarexperte: erstens die Energiestrategie 2050, die den nachhaltigen Energien Auftrieb gegeben und die Fotovoltaik (endlich) rentabel gemacht hat; zweitens der berüchtigte Blackout, «vor dem Bundesrat Guy Parmelin im letzten Herbst warnte» und der die Angst vor einem Anstieg der Energiepreise schürt; drittens die Pandemie, «die den Wunsch nach Selbstversorgung verstärkt hat, insbesondere bei Privatpersonen. Und sicher wird auch der Krieg in der Ukraine die Pläne für ein baldiges Ende der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern beeinflussen.»
In der Schweizer Solarbranche gibt es bereits etwa 7000 Vollzeitstellen und diese Zahl dürfte sich in den nächsten zehn Jahren verdreifachen. Ab 2024 soll es eine Berufsausbildung zur Fachkraft für Solarenergie geben. «Die Zeit der Ökoidealisten, die in Hinterzimmern arbeiten, ist eindeutig vorbei. Immer mehr junge Leute wollen in diesem zukunftsträchtigen Bereich tätig werden.»
Als Affolter vor rund 30 Jahren an der ETH Lausanne (EPFL) Elektrotechnik studierte, galt er als Ökofreak. «Während meine Studienkollegen ihre Zukunft vor allem in grossen Elektrizitätsunternehmen sahen, interessierte ich mich schon damals mehr fürs Energiesparen als fürs Energieproduzieren.» Als erklärter, aber nicht politisch aktiver Atomkraftgegner beteiligte er sich ehrenamtlich an verschiedenen Aktionen des Vereins «Sortir du nucléaire».
Tschernobyl als Bestätigung
Der Unfall von Tschernobyl 1986 machte ihm definitiv klar, welchen Weg er einschlagen sollte. Frisch diplomiert, arbeitete er in einem Ingenieurbüro in der Region La Côte und entwickelte zusammen mit dem EPFL-Labor für Solarenergie und Bauphysik Pilotprojekte. «Das war die Zeit der Projekte, die zu 100 Prozent vom Bund unterstützt wurden. Die Solarenergie galt noch als absolut unrentabel.»
Als sich 1996 der Wunsch konkretisierte, die an der EPFL entwickelten Projekte industriell umzusetzen, gründete er mit einem befreundeten Ingenieur die Firma Solstis. «Damals war die Schweiz in der Forschung auf diesem Gebiet führend. Doch im Laufe der Zeit liefen ihr Länder wie Deutschland diesen Rang ab, denn dort fördert die staatliche Politik die Solarenergie.» In der Schweiz kommt der Markt nach und nach in Schwung, «zum Teil auch dank des Auftrags, den uns das Bundesamt für Energie zur Förderung von Solarstrombörsen in der Westschweiz erteilt hatte.» Von kleinen Einzeldächern bis zum Solarkraftwerk, das mehrere Hundert Haushalte versorgen kann, tauchen nun immer mehr Anlagen auf.
«Fertig mit dem Hickhack»
Und genau hier stellt sich oft auch die heikle Frage, ob sich die Solaranlagen ästhetisch in die Landschaft einfügen. «Oh ja, das ist ein grosses Thema, das mich manchmal auch nervt. Offen gesagt, wenn wir uns von fossilen Brennstoffen verabschieden wollen – vollständig und sehr bald –, dann müssen wir mit diesem kleinlichen Hickhack aufhören. Das Ziel ist, nachhaltig zu produzieren. Darum geht es.» Umso mehr, als das Know-how inzwischen so weit gewachsen ist, dass der ästhetische Aspekt kein Hindernis mehr darstellen muss. «Wir konnten zum Beispiel ein Freiburger Bauernhaus aus dem Jahr 1859 mit Solarmodulen in Terrakotta-Optik ausstatten – wofür wir den Solarpreis 2018 erhalten haben. Die Solarmodule wirken nicht mehr aufgesetzt, sondern kleiden die Gebäude.»
Auf den Dächern der Schweiz gibt es noch sehr viel Platz. «Die Zeit ist reif für eine Solaroffensive. Wenn wir alle bestehenden Dächer mit Fotovoltaikanlagen ausrüsten würden, könnten wir 80 Prozent unseres Strombedarfs decken. Doch davon ist die Schweiz weit entfernt. Zum Vergleich: Spitzenreiter Dänemark hat einen zehnmal höheren Anteil.» Das Solarpotenzial der Schweiz werde bei Weitem nicht ausgeschöpft, Pascal Affolter will das ändern.
FLORENCE KUPFERSCHMID ist Redaktorin der frankophonen Ausgabe des Pro Natura Magazins.
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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