Ein Gespräch über schmelzende Gletscher und die Klimakrise
Gebirgsgletscher gelten weltweit als wichtige Indikatoren für Änderungen des Klimas. So auch in der Schweiz mit ihren heute noch 1400 Gletschern. Viele von ihnen werden in Folge der Klimakrise in den kommenden Jahrzehnten schrumpfen und verschwinden.
Seit Laudo Albrecht als junger Mann zum Aletschgletscher gewandert ist und in seinem Leben tausende Stunden an dessen Rand verbracht hat, schrumpft der Gletscher und dies in den vergangenen Jahren zunehmend schneller.
Die Geschwindigkeit der globalen Gletscherschmelze ist ohne Beispiel in der Erdgeschichte
Was auf den ersten Blick gar nicht so schlimm scheint, hat weitreichende Folgen für uns Menschen und die Biodiversität. Mit der Gletscherschmelze fliesst das in den Gletschern gebundene Wasser ins Meer und geht als Trinkwasserspeicher und für die Natur verloren. Folgen sind:
- Trockene Flüsse
- Sinkender Grundwasserspiegel
- Wassermangel
- Dürrekatastrophen
Der Öffentlichkeit wenig bekannt scheint, dass ein vollständiges Abtauen der Gletscher nicht mehr zu verhindern ist, wenn Gletscher zu viel ihrer Masse verloren haben. Dies ist bei einigen Gletschern in der Schweiz schon heute so weit. Sie sind schon verschwunden oder werden in den kommenden Jahren verschwinden.
Das Pro Natura Zentrum Aletsch forscht und misst
Seit 1992 misst das Pro Natura Zentrum Aletsch die Abschmelzung des Aletschgletschers. Dafür bohren die Mitarbeitenden drei Mal pro Sommer eine Messstange in den Gletscher. Jedes Mal, wenn sie auf einer Gletschertour bei der Messstelle vorbeiwandern, wird der neue Stand der Eisoberfläche mit einem Klebeband markiert und mit dem Datum versehen. Durchschnittlich schmelzen im Sommer 10 – 12 Zentimeter pro Tag ab.
Auf der Hohfluh beginnt unsere Wanderung, unser Gespräch mit Blick auf den Aletschgletscher und die umliegenden Berggipfel. An diesem sonnigen, freundlichen Tag weist hier oben auf den ersten Blick nichts auf die Klima- und Biodiversitätskrise hin. Im Gespräch mit Isabella und Laudo wird aber schnell klar, dass der schöne Schein trügerisch ist.
Rückgang des Aletschgletschers zwischen 2001 und 2022
Die Folgen für die Natur, die Biodiversität bleiben nicht aus
Isabella Albrecht weist im Gespräch darauf hin, dass sich die Pflanzen der Alpen über sehr lange Zeit an die harschen Bedingungen ihres Lebensraums angepasst haben.
«Lange Winter, kurze Sommer, wenig Nährstoffe und viel Sonneneinstrahlung prägen den Lebensraum der artenreichsten Wiesen und Weiden der Schweiz. Durch die Klimaerwärmung wird sich die Zusammensetzung der Vegetation ändern. Wärmeliebende Pflanzen aus tieferen Höhenstufen, können auch in höheren Lagen gut wachsen, wenn das Klima in den Höhen wärmer wird. Sie werden dadurch alpine Arten nach oben verdrängen. Die von den Pflanzen abhängigen Tierarten werden mitwandern müssen. Auf den Bergspitzen ist jedoch weniger Platz vorhanden; die verbleibenden Lebensräume werden deshalb immer kleiner für unsere prächtige alpine Flora werden.»
- Matthias Sorg
Ohne Tannenhäher keine Arven
Die Arve ist ein extrem frostharter, knorriger, langsam wachsender Baum. Steigen die Temperaturen wird sie durch konkurrenzstarke Baumarten wie die Fichte verdrängt. Diese wird heute schon durch die Klimakrise aus dem Mittelland verdrängt. Arven können sich nur sehr langsam in höhere Lagen ausbreiten. Denn ihre Samen werden nur durch den Tannenhäher verteilt. Sie ist zur Verbreitung auf diesen Alpenvogel angewiesen. Dieser scheint aber der bisherigen Baumgrenze treu zu bleiben und nur wenige Samen in höhere Lagen zu tragen. Möglicherweise kann die Arve somit nicht schnell genug nach oben wandern und ist der Konkurrenz durch Baumarten aus tieferen Lagen ausgeliefert.
Die Veränderungen der Pflanzengesellschaften auf den Berggipfeln aufgrund der Klimakrise werden weltweit mit dem internationalen Projekt «GLORIA» untersucht, an dem sich auch die Schweiz beteiligt.
- Matthias Sorg
Drohende Wohnungsnot bei den Murmeltieren
Laudo Albrecht kennt alle Murmeltierkolonien im Gebiet Rieder- und Bettmeralp. Am Schluss unserer Wanderung führt er uns an einer kleinen Kolonie am Rande der Riederalp vorbei. Laudo erklärt: «Murmeltiere haben keine Schweissdrüsen und können nicht schwitzen. An heissen Tagen beschränken sie ihre Aktivitäten deshalb und verweilen in ihren kühlen Erdhöhlen. Dadurch bleibt ihnen aber weniger Zeit, um das benötigte Fettpolster für den Winter anzufressen.»
Ungenügende Fettreserven können im Winterschlaf aber tödlich sein. Auch die Murmeltiere werden daher in höhere Lagen ausweichen müssen, wo die Sommertage noch kühler sind. Nur werden sie dort mit zunehmender Höhe immer weniger brauchbaren Untergrund für ihre Erdhöhlen finden. Der Fels wird ihren Höhlenbau verunmöglichen.
- Matthias Sorg
Unser Gespräch zeigt: Es braucht eine Wende
Die Klimakrise verändert unsere Umwelt: Am Schwinden der Gletscher weltweit, sieht man dies ganz deutlich. Mit was für Herausforderungen künftige Generationen kämpfen müssen, ist schwer abzuschätzen. Denn die Wechselwirkungen zwischen Klima und Ökosystemen sind komplex und vielfältig. Wie lange können wir noch damit zuwarten wirksame Massnahmen zu ergreifen? Der Klimakrise entgegenwirken und das Schmelzen der Gletscher verlangsamen können wir heute schon, indem wir:
- Fossile Energien durch erneuerbare ersetzen
- Den Energieverbrauch gesamthaft stark reduzieren
- Lebensräume, die CO2 aufnehmen und binden (z.B. Wälder, Flachmoore), pflegen und schützen
- Uns politisch für Klima- und Naturschutz engagieren.
Hintergrundinformationen
Werden fossile Brennstoffe verbrannt, entsteht Kohlendioxid CO2. Durch dieses CO2, sowie durch die Freisetzung weiterer Treibhausgase wie Methan, Lachgas oder synthetische Gase, wird der Treibhauseffekt verstärkt und die Temperaturen steigen. Die Emissionen sind vor allem vom Menschen verursacht. Sie haben in den letzten Jahrzehnten derart zugenommen, dass wir heute von einer massiven Klimaerwärmung in kurzer Zeit sprechen. Der grösste Teil der Treibhausgasemissionen in der Schweiz stammt übrigens aus dem Verkehr (31% durch den Verkehr, ohne internationalen Flug- und Schiffsverkehr. Quelle: BAFU).
Der Treibhauseffekt
Ein Teil der kurzwelligen Sonnenstrahlung durchdringt die Atmosphäre, wird von der Erdoberfläche aufgenommen und dann als langwellige Strahlung wieder abgegeben. Treibhausgase verhindern, dass die langwellige Strahlung die Atmosphäre erneut zu durchdringen vermag. Dadurch werden die unteren Schichten der Atmosphäre und die Erdoberfläche erwärmt. Grundsätzlich ist der Treibhauseffekt also etwas Natürliches; ohne ihn wäre es deutlich kühler und ein Leben auf der Erdoberfläche nicht möglich.
Die bereits beobachtbaren Veränderungen zeigen: Wir sind mittendrin im Klimawandel. Die Schweiz muss sich auf trockenere Sommer, heftigere Niederschläge, mehr Hitzetage und schneeärmere Winter gefasst machen. In den Alpen erwarten die Forschenden einen besonders starken Anstieg der Temperatur: Über Landmassen ist die Erwärmung stärker als im globalen Mittel. Je mehr nun die Gletscher schmelzen, desto mehr Landmassen werden freigegeben. Entsprechend nimmt die Erwärmung zu.
Weitere Informationen zu den Schweizer Klimaszenarien CH2018 finden auf der Website des «National Centre for Climate Services NCCS».
MeteoSchweiz zeigt auf der nachfolgenden Grafik für jedes Jahr von 1864 bis 2018 eine kleine Schweizer Karte, auf der die Temperaturabweichung vom Mittel der Jahre 1961-1990 zu sehen ist. © MeteoSchweiz
Niemand weiss, wie sich das Klima in Zukunft entwickeln wird. Deshalb arbeiten die Wissenschaftler mit verschiedenen Szenarien und fragen sich zum Beispiel: Wie sieht der Gletscher gegen Ende des Jahrhunderts aus? Die Eismassen werden deutlich länger erhalten bleiben, wenn konsequenter Klimaschutz betrieben wird und die Emissionen stark reduziert werden. Damit lässt sich die Erwärmung wahrscheinlich auf 2 Grad begrenzen, wie es im Pariser Abkommen als Ziel formuliert ist.
Weitere Informationen zu den Schweizer Klimaszenarien CH2018 finden auf der Website des «National Centre for Climate Services NCCS».
Der Grosse Aletschgletscher ist ein eindrücklicher Gradmesser für die Änderungen des Klimas: Im Laufe der Zeit reagierte er auf Warm- und Kaltzeiten durch Rückzüge beziehungsweise Vorstösse. Seit den 1980er Jahren schmelzen aber die Gletscher schneller als davor. So auch der Grosse Aletschgletscher. Dies ist eine direkte Auswirkung der aktuellen Klimaerwärmung.
Während die Änderungen in der Länge des Gletschers von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich sein können, ergibt sich ein klarer Trend, wenn der Schwund der einzelnen Jahre aufsummiert wird: Der Rückgang nimmt stetig zu.
Mit fast 80 km2 Fläche ist der Grosse Aletschgletscher der grösste Gletscher der Alpen. Im ihm sind rund 20% des Eisvolumens der Schweiz gespeichert. Nun könnten wir annehmen, dass der Aletschgletscher aufgrund seiner Grösse der Klimakrise am besten trotzt. Dies ist aber nicht der Fall. Der Gletscher ist viel zu gross für das heutige Klima und wird sich auch im Fall eines starken Klimaschutzes massiv zurückziehen. Bis im Jahr 2100 wird er über die Hälfte seines Volumens verlieren. Bis 2050 geschieht dies nahezu unabhängig von der weiteren Klimaentwicklung. Ab etwa 2040 dürfte ein erster von vielen Seen im tief eingeschnittenen Tal unter dem Aletschgletscher zum Vorschein kommen. Die neuen Seen werden von da an die Landschaft prägen. Wenn wir die Klimakrise in den Griff bekommen, kann sich das Gletscherende bis ins Jahr 2100 stabilisieren, allerdings erst rund 10 km talaufwärts von der heutigen Position. Ohne griffigen Klimaschutz hingegen könnte sich um etwa 2080 am Konkordiaplatz ein riesiger Gletschersee bilden. In diesem Extremszenario bleibt sogar am Jungfraujoch kein Eis mehr übrig.