Der Landfrass in vier Zahlen
In der Schweiz darf nur in ganz bestimmten Zonen asphaltiert, betoniert und gemauert werden: im Baugebiet. So steht es im Bundesgesetz über die Raumplanung RPG, Art. 1: «Bund, Kantone und Gemeinden sorgen dafür, dass der Boden haushälterisch genutzt und das Baugebiet vom Nichtbaugebiet getrennt wird.»
Leben ausserhalb der Bauzonen
Den Boden haushälterisch nutzen, das ist in der Schweiz besonders wichtig, denn er ist rar und entsprechend wertvoll. Mehr als die Hälfte unseres Landes ist von Gewässern oder Gletschern bedeckt respektive zu felsig oder zu bewaldet, um darauf zu wohnen, zu geschäften oder Landwirtschaft zu betreiben. Die andere knappe Hälfte ist in zwei Bereiche geteilt: Der weitaus grösste Teil wird dazu genutzt, Äcker anzulegen, Schweine zu züchten oder Poulets zu mästen – sprich, es ist Kulturland, das nur unter ganz bestimmten Bedingungen und unter strengen Auflagen bebaut werden darf. Eigentlich.
Auf dem restlichen Gebiet stehen Häuser, Büros, Industriebauten, Schwimmbäder, Strassen, Brücken, Spielplätze und so weiter und bilden damit das, was gemeinhin Siedlungsgebiet genannt wird. Doch aufgepasst. Siedlungsgebiet ist nicht, wie man nach der Lektüre des Raumplanungsgesetzes annehmen könnte, deckungsgleich mit Baugebiet.
Denn – und hier kommt unsere erste Zahl ins Spiel – 37 Prozent der Siedlungsfläche in der Schweiz liegt ausserhalb der Bauzone. Das meiste sind Strassen und Wege. Doch es stehen auch – und hier kommt schon die zweite Zahl – rund 600 000 Gebäude in Nichtbaugebieten. 200 000 dienen als Wohnraum, wie viele davon in Zusammenhang mit der Landwirtschaft stehen, wird nicht erhoben.
Zwar sind die meisten dieser Gebäude vor 1972 erstellt worden, als die Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet in Kraft trat, trotzdem kommen jedes Jahr neue hinzu. Das liegt auch am Strukturwandel in der Landwirtschaft, der dazu führt, dass immer mehr Gebäude, die einmal der Agrarwirtschaft dienten, nicht mehr gebraucht werden. So werden Jahr um Jahr gegen 1500 Bauernhöfe mit all ihren Wohngebäuden, Ställen, Scheunen und Schuppen überflüssig. Überflüssig für die Landwirtschaft, doch attraktiv, um sie zu bewohnen, sei es permanent oder als Feriendomizil.
Die Kulturlandfresser
Ein Blick auf die Entwicklung bei den Siedlungsflächen zeichnet ein klares Bild: Sie sind zwischen 1985 und 2018 um einen Drittel gewachsen. Im gleichen Zeitraum haben die landwirt schaftlich genutzten Flächen um etwas mehr als einen Drittel ab genommen. Oder, um es mit unserer dritten Zahl anschaulicher zu sagen: In der Schweiz gehen pro Minute 70 Quadratmeter Kulturland verloren. In den höheren Lagen an den Wald, in den tieferen an die Siedlungen und auch die Landwirtschaft selbst knabbert mit.
Während sich die Zunahme der Wohnareale ausserhalb der Bauzonen in den letzten Jahren leicht abgeschwächt hat, hat jene der landwirtschaftlichen Gebäude stark zugenommen. In den letzten 35 Jahren gab es gar einen veritablen Bauboom ausserhalb der Bauzone. Jährlich werden dort fast 2000 Gebäude neu erstellt – auf Kosten des Kulturlandes. Werden gleichzeitig nicht mehr genutzte alte Ställe zu Ferienhäusern umgebaut statt abgerissen, ist der Schaden gleich doppelt angerichtet. Zumal diese Gebäude auch erschlossen werden müssen, was wiederum zu mehr Strassen führt, die die Landschaft weiter zerschneiden.
Darunter leiden Wildtiere besonders stark, die überregionalen Wildtierkorridore sind in sehr schlechtem Zustand, nur ein Drittel dieser wichtigen Wanderachsen ist intakt, 16 Prozent hingegen ganz unterbrochen. Hier setzt die Landschaftsinitiative an: Die bebauten Flächen ausserhalb der Bauzonen sollen insgesamt nicht mehr wachsen dürfen – denn unser Kulturland ist zu wertvoll, um es zuzubauen.
Noch ein paar Zahlen mehr
- 8 Prozent der Schweiz sind Siedlungsfläche
- 36 Prozent sind Landwirtschaftsfläche
- 30 Prozent des Landes ist bestockt (davon 90 Prozent Wald)
- 25 Prozent sind unproduktive Flächen (45 Prozent vegetationsloser Fels/Geröll; 28 Prozent unproduktive Vegetation; 17 Prozent Gewässer; 10 Prozent Gletscher/Firn)
Heute liegen 119 000 Hektaren oder 37 Prozent der Siedlungsfläche ausserhalb der Bauzone, davon sind:
- 64 000 Hektaren Verkehrsflächen; Tendenz: mässig wachsend
- 38 000 Hektaren Gebäude inkl. Umschwung; Tendenz: wachsend
- 9000 Hektaren besondere Siedlungsflächen wie Deponien; Tendenz: leicht abnehmend
- 8000 Hektaren Erholungs-/Grünanlagen; Tendenz: mässig wachsend
Der Anteil versiegelter Flächen stieg zwischen 1985 und 2018 um 40 Prozent , unter anderem wegen der Zunahme der Wohnfläche, der Fläche für Verkehrswege und des Strukturwandels in der Landwirtschaft.
BETTINA EPPER, Redaktionsleiterin Pro Natura Magazin.
- Matthias Sorg
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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