Unter unseren Füssen wimmelt es von Leben!
In einer Handvoll humusreicher Erde wuseln etwa zehn Milliarden Organismen. Das Leben auf der Welt hängt von der verborgenen Vielfalt dieser Bodenorganismen ab: Was wir essen, trinken, einatmen, der grösste Teil der Rohstoffe unserer Kleidung, das alles wandert immer wieder durch den Boden und seine Lebewesen.
Die Böden – komplexe Ökosysteme
Auf der Oberfläche der Erdkugel bilden die Böden diese einzigartige dünne Schicht, in der Geosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre und Biosphäre in Wechselwirkung treten. Sie formen zeitlich und räumlich komplexe Ökosysteme in Abhängigkeit von Klima, Ausgangsgestein, Wasserhaushalt, Topografie und biologischer Aktivität. Die Entstehung eines Bodens dauert Tausende von Jahren und ist nie abgeschlossen. Man geht davon aus, dass die durchschnittliche Bodenbildungsrate 0,1 Millimeter pro Jahr beträgt. Gesunde Böden beherbergen unzählige Lebewesen – Tiere, Pflanzen, Pilze, Mikroorganismen – und sind der Ort, wo grundlegende Prozesse wie der Nährstoffkreislauf stattfinden. In einem Gramm Erde leben 2000 bis 18’000 verschiedene Arten, die sich hauptsächlich von den organischen Substanzen im Boden ernähren.
Bakterien, Pilze, Einzeller und Co.
In den Böden herrschen sehr unterschiedliche Lebensbedingungen. Die meisten Organismen befinden sich in den obersten Zentimetern des Erdreichs, in der Humusschicht, die aus organischem Material von toten Lebewesen, Pflanzenstreu und Ausscheidungen von Wurzeln, Pilzen und Mikroorganismen besteht. Die grösste Artenvielfalt weisen die Bakterien und andere mikroskopisch kleine Einzeller auf. Es gibt aber noch unzählige weitere Organismen, die von blossem Auge oft nicht zu erkennen sind: Amöben, verschiedene Nematoden, Bärtierchen, Regenwürmer und, näher an der Oberfläche, kleine Weisswürmer, Tausendfüsser, Asseln, Springschwänze, Insektenlarven sowie Schnecken, die grosse Mengen an Pflanzenstreu fressen. Und nicht zu vergessen: Maulwürfe und Ameisen, die zur Strukturierung und Belüftung des Bodens beitragen, oder Wildschweine, die auf der Suche nach Nahrung den Boden durchwühlen. Während die weltweite Artenvielfalt der Pflanzen zu mehr als 80 Prozent bekannt ist, hat die Wissenschaft bis heute nur knapp 5 Prozent der Nematoden-, Pilz- und Bakterienarten beschrieben.
Ein Kuhfladen …
Stellen wir uns einen frischen Kuhfladen vor. Nach einigen Wochen oder Monaten ist er verschwunden. Was ist aus ihm geworden? Eine Heerschar spezialisierter Lebewesen, die sich je nach Zersetzungs- und Austrocknungsgrad des Kuhfladens ablösen, hat den grössten Teil davon in den Boden eingearbeitet. Auf die Schnecken und die Fliegenlarven, die den Abbauprozess beginnen, folgen weitere Zweiflügler, die ihre Eier ablegen. Dann kommen dungfressende Käfer und kleine Kompostwürmer. Wenn der Kuhfladen schon stark zersetzt ist, übernehmen die Regenwürmer die Aufgabe, ihn vollends in den Boden einzuarbeiten. Während des gesamten Ablaufs stellen sich zahlreiche Jäger ein, um Beute zu machen: Kurzflügelkäfer, Vögel, Raubmilben, Pseudoskorpione, Tausendfüsser. Auch Pilze und Bakterien sind von Beginn weg am Abbau des Kuhfladens beteiligt. Genau der gleiche Prozess läuft ab, wenn ein Blatt, ein Baumstamm, ein Kadaver oder andere abgestorbene organische Materialien zersetzt werden.
Ohne die Fauna und die Mikroorganismen im Boden würden sich überall tote Tiere, Kot und Pflanzenreste anhäufen. Die Oberfläche der Erde wäre meterhoch mit Totholz, Kadavern und Exkrementen bedeckt.
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Matthias Sorg
Die Landwirtschaft braucht gesunde Böden
Ein ertragsfähiger, gesunder Boden zeichnet sich durch eine grosse Vielfalt an Lebewesen aus. Wenn diese Organismen in ausreichender Menge vorhanden sind, können sie Ackerböden auflockern, die durch das wiederholte Befahren mit schweren Maschinen grossen Belastungen ausgesetzt sind. Ist der Boden zu stark verdichtet, drohen die Pflanzenwurzeln zu ersticken. Die intensive mechanische Bodenbearbeitung, der Eintrag grosser Mengen an Mineraldünger und Pestiziden und der fortlaufende Verlust an organischer Substanz in den Ackerböden lösen dramatische Veränderungen aus. Sie bringen viele Lebewesen zum Verschwinden, mit irreparablen Folgen für die Bodenfruchtbarkeit. Studien belegen, dass die biologischen Anbaumethoden sowie die Konservierende Landwirtschaft mit reduzierter Bodenbearbeitung und die Regenerative Landwirtschaft mit Dauerbegrünung weniger zerstörerisch für das Bodenleben sind.
Die Biodiversitätskrise betrifft auch den Boden
Die Vielfalt des Bodenlebens steht unter Druck. Jede Sekunde wird in der Schweiz mehr als ein Quadratmeter fruchtbarer Boden zerstört, und das schon seit Jahrzehnten. Böden sind keine erneuerbare Ressource. Sie können innerhalb weniger Sekunden geschädigt werden, die Regeneration hingegen dauert Dutzende oder gar Hunderte von Jahren. Trotzdem werden die Bodenbiodiversität und die damit verbundenen Ökosystemfunktionen meistens vernachlässigt, wenn es darum geht, den Biodiversitätszustand zu bewerten.
Natürlich kann man nur schützen, was man kennt: In der Schweiz gibt es nicht einmal eine nationale Bodenkarte, geschweige denn eine Bewertung des Gefährdungszustands der Bodenlebewesen.
Wenn Sie also das nächste Mal einen Regenwurm oder eine Schnecke auf einem befestigten Weg sehen, dann machen Sie es doch wie ich: Heben Sie das Tier vorsichtig auf und tragen Sie es an einen sicheren Ort. Wer die Biodiversität im Boden fördert, fördert die Gesundheit des Bodens und damit die Gesundheit und das Wohlergehen von uns Menschen.
Der Biologe René Amstutz ist Bodenspezialist. Er leitet bei Pro Natura die Abteilung Biotope und Arten.
Weiterführende Informationen
Info
Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin Spezial publiziert.