Vom echten Jagd- und Schutzgesetz (JSG) zum missratenen Jagdgesetz
Das Parlament hatte sich 1986 zusammengerauft und einen gutschweizerischen Kompromiss im besten Sinn geschaffen. Gegen dreissig Jahre lang hatte niemand ein Bedürfnis, das Gleichgewicht auf seine Seite zu ziehen, Jagd und Naturschutz arbeiteten eng und erfolgreich zusammen. Für die Biodiversität, für die Wildtiere.
Bestandesregulierungen schon heute möglich
Das heute geltende Jagd- und Schutzgesetz ist weit entfernt von einem absoluten Schutz der geschützten Arten. Mit seinen fein austarierten Kompromissen können sowohl Einzelabschüsse als auch Bestandsregulierungen vorgenommen werden. Die Motion von Stefan Engler von 2014 war deshalb eigentlich gar nicht nötig. Trotzdem boten die Umweltorganisationen Hand, sie anzunehmen. Denn Engler sagte klar: «Dabei stehen Massnahmen zur Regulierung eines Wolfsbestandes im Vordergrund bei Tieren, die sich an ausreichend geschützte Herden oder Weiden wagen oder das scheue Verhalten gegenüber dem Menschen zu verlieren beginnen.» Deshalb waren sich bei der Motion Engler für eine punktuelle JSG-Revision erneut alle einig: Dieses Mal im Ständerat einstimmig, im Nationalrat mit grosser Mehrheit von 151 zu 17. Eine kleine Revision von Artikel 7 des JSG hätte – wie von Engler verlangt – genügt, um die Motion zu erfüllen.
Doch dann kam der Entwurf des Bundesrates zur Teilrevision des JSG mit nicht weniger als 23 Änderungspunkten in die Vernehmlassung. Mit Punkten, die weder gefordert noch diskutiert worden waren. Zum Beispiel der neuen Kompetenz der Kantone, die Regulierung von Beständen geschützter Arten abschliessend zu beschliessen. Gerichtet gegen den bewährten Kompromiss «Schutz beim Bund, Jagd bei den Kantonen». Der Vernehmlassungsbericht konstatierte denn auch: «Die Kompetenzdelegation an die Kantone polarisiert.» Noch vier Jahre zuvor hatte der Bundesrat selber sechs Gründe ins Feld geführt, weshalb die Kompetenz beim Bund liegen muss. Dies zur Halbwertszeit bundesrätlicher Versprechen.
Innerhalb kurzer Zeit, ohne Auftrag des Parlaments und ohne sachliche Notwendigkeit wurde der seit dreissig Jahren erfolgreiche Kompromiss zwischen Jagd und Naturschutz in den Abfallkübel geworfen. Wer davon profitieren soll, ist schleierhaft. Jedenfalls nicht die Jagd, die praktisch nichts von dieser Revision hat, was nicht bereits mit dem aktuellen Gesetz möglich ist. Und schon gar nicht der Naturschutz.
Endloses Hin und Her zwischen den Kammern
Was dann folgte war ein Trauerspiel, wie es im Parlament selten vorkommt. Bereits in den Kommissionen wurde intensiv gestritten. Gemäss Medien gab es allein in der UREK Ständerat über 100 Seiten Protokolle zum JSG. Dann beugten sich die Räte tagelang über das Dossier. Unzählige Mehrheits-, Minderheits- und Einzelanträge zerstückelten das Gesetz und verwandelten das geltende Kompromiss-JSG in ein missratenes Jagdgesetz. Im Nationalrat gab es Zufallsentscheide mit einer einzigen Stimme Mehrheit. Drei Mal hielten die beiden Räte an ihren längst nicht mehr kohärenten Formulierungen fest. Am Schluss kam es zur Einigungskonferenz – auch dies ist nicht häufig im Parlamentsbetrieb.
Klar versuchen jetzt die Promotoren des missratenen Jagdgesetzes dieses als «Kompromiss» zu verkaufen. Doch das hat keine sachliche Grundlage. Die klaren Linien, klugen Kompromisse und guten Lösungen, deretwegen damals das JSG breiteste Zustimmung bei Jägern, Landwirten, Jagdverwaltern, Naturschützern und überhaupt bei Bevölkerung und Politik fand, würden mit der Revision zerstört. Mit ihrem Referendum wollen die Umweltorganisationen erreichen, dass diese grossen Errungenschaften gesichert werden. Die Bestimmungen gemäss der Motion Engler können nach der Ablehnung der Vorlage in der Volksabstimmung mit einer kleinen Revision rasch eingeführt. Ebenso die unbestrittenen Punkte der Revision wie die Wildtier-korridore, deren Sicherung der Bundesrat bereits 2012 beschlossen hat.
Ein Gesetz der verpassten Chancen
Hätte der Bundesrat wirklich nicht nur die vom Parlament ursprünglich angestossene kleine Revision bewerkstelligen wollen, hätte er ganz anders vorgehen müssen. Er hätte den Handlungsbedarf in allen Punkten sauber abklären müssen. Dann wäre er zum Schluss gekommen, dass es auch beim Schutz massive Verbesserungen braucht, etwa der Schutz der gefährdeten Arten Feldhase, Schneehuhn, Birkhahn und Waldschnepfe.
Auch die Jagd auf viele Entenarten und den Haubentaucher ist nicht mehr zeitgemäss. Indem der Bundesrat diese saubere Analyse nicht gemacht hat, hat er Platz geschaffen für absolut ungenügende Massnahmen, die durch einzelne Anträge hineinkamen. Mit dem Ziel, einen neuen Kompromiss vorzugaukeln. Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Die Verlängerung der Schonzeit der Waldschnepfe erfasst genau jene 30 Tage, in der nur 4% aller Waldschnepfen gejagt werden. Um wenigstens die Schweizer Schnepfen-Brutvögel vor Jagd durch Schweizer Jäger zu schützen, hätte die Schonzeit deutlich weiter ausgedehnt werden müssen. Der Schutz von 12 Entenarten ist erfreulich, erfasst aber auch nur 2% aller Abschüsse von Enten in unserem Land. Das missratene Jagdgesetz ist deshalb auch ein Gesetz der verpassten Chancen, dringend nötige Schutzmassnahmen umzusetzen.
Further Information
Info
Aus der Medienkonferenz 8. Oktober 2019 zum Start des Referendums gegen das Jagd- und Schutzgesetz
Werner Müller
Geschäftsführer BirdLife Schweiz