Maisfeld mit trockener Erde
25.03.2022 Aktiv werden

«Die Erde hat Fieber»

Biodiversitätsverlust und Klimakrise machen unseren Planeten krank – und damit uns Menschen.

Der Erde geht es gar nicht gut. Christian Abshagen, Leiter CAS Gesundheit und Umwelt an der Hochschule für Life Sciences der Fachhochschule Nordwestschweiz (HLS FHNW) erklärt im Interview, mit welcher Therapie wir ihr und damit auch uns Menschen helfen können, gesund zu werden respektive zu bleiben.

 

Pro Natura Magazin: Käme die Erde zu Ihnen als Patientin, welche Diagnose würden Sie ihr stellen?

Christian Abshagen: Die Erde hat Fieber, Organfehlfunktionen wie schmelzende Polkappen und zerstörte Regenwälder. Zudem zeigt sie Anzeichen chronischer Vergiftung, etwa durch Feinstaub oder Plastikmüll.

Die Erde ist also krank. Werden deswegen auch die Menschen krank?

Natürlich gäbe es leider auch kranke Menschen, wenn die Erde gesund wäre. Aber es gibt sehr viel mehr unnötig und unverschuldet kranke Menschen, wenn auch die Erde krank ist. Jährlich sterben zum Beispiel bis zu acht Millionen Menschen an den Belastungen durch Feinstaub.

Macht eine intakte Natur gesund?

Ja, ganz direkt. Etwa durch einen Waldspaziergang, der Stress mindert. Aber auch indirekt, indem sie zu mehr Bewegung ­animiert und auch hilft, sich gesünder zu ernähren.

Wie schaden Klimawandel und Biodiversitätsverlust der ­Gesundheit ganz konkret?

Beim Klimawandel ist es zunächst ganz direkt die Hitze. Allein im «Jahrhundertsommer» 2003 starben in Europa 30 000 bis 70 000 Menschen mehr als üblicherweise. Studien zeigen zudem, dass von 1991 bis 2015 ein Drittel aller Hitzetoten auf den Klima­wandel zurückzuführen sind. Andere direkte Folgen des Klimawandels sind Todesfälle und Verletzte durch Naturkatastrophen. Aber auch indirekt machen Klimawandel und Biodiversitätsverlust der Gesundheit zu schaffen, so nehmen etwa Allergien zu. Eine längere Pollenflugsaison und mehr invasive Pflanzen begünstigen Heuschnupfen und als Folge davon leiden mehr Menschen an Asthma. Auch die Ernährungssicherheit ist ein grosses Thema. Klimawandel und ausbleibende Bestäubung wegen fehlender Insekten führen zu mehr Ernteausfällen. Aber auch Infektionskrankheiten verbreiten sich anders und mehr als früher.

Infektionen haben mit Umweltveränderungen zu tun?

Ja.

Inwiefern?

Unsere moderne Gesellschaft schädigt durch ihren Lebens­wandel Ökosysteme und Biodiversität und das leistet Zoonosen, also Erkrankungen, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden, Vorschub. Wir kennen das nicht erst seit Covid-19, sondern schon von HIV oder Ebola. Umweltveränderungen führen dazu, dass gewisse Spezies aussterben, andere passen sich gut an und verbreiten sich überproportional. Zum Beispiel Fledermäuse oder Nagetiere. Also oft Tiere, die in der Nähe des Menschen leben. Sind die Tiere mit Krankheitserregern infiziert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese auf den Menschen überspringen. Ein anderer Mechanismus ist, dass sich infolge des Klimawandels Stechmücken und Zecken weiter ausbreiten und mit ­ihnen Krankheiten wie Dengue-Fieber, Malaria oder Borreliosen.

 

Christian Abshagen ist promovierter Arzt und hält ein Diplom in Tropenmedizin sowie ein MBA. Am Universitätsspital Basel leitet er die Fachstelle Nachhaltigkeit. Zudem ist er als Studiengangleiter und Dozent für den CAS Gesundheit und Umwelt an der Fachhochschule Nordwestschweiz tätig. Christian Abshagen lebt mit seiner Partnerin und zwei Söhnen in Basel.

Christian Abshagen zVg
Christian Abshagen

Wäre die Erde Ihre Patientin, welche Therapie würden Sie ihr verordnen?

Eine gute Therapie sollte immer ursächlich sein und nicht rein symptomatisch. Wir können natürlich Diamantpartikel in die Stratosphäre schiessen, um die Sonneneinstrahlung abzumildern. Aber damit sind die zugrunde liegenden Probleme nicht gelöst.

Wie lösen wir es?

Wir müssen die Treibhausgasemissionen, Nitratbelastung und Plastikkonsum senken, wir müssen weg von intensiver Landwirtschaft, wir müssen die Kreislaufwirtschaft stärken. Wir müssen die Ökosysteme, die wir noch haben, unbedingt schützen. Wir müssen uns fragen: Wie bauen wir Städte? Wie gestalten wir die Mobilität? Wie die Ernährung? Kurz: Es bedarf grosser Transformationen.

Biodiversitätsschutz, der Kampf gegen den Klimawandel und der Gesundheitsschutz sollten heutzutage also eigentlich in alle wichtigen Entscheidprozesse mit einbezogen werden?

Im 21. Jahrhundert lautet die Formel: Klimaschutz gleich ­Biodiversitätsschutz gleich Umweltschutz gleich Gesund­heitsschutz. Es gibt von der Weltgesundheitsorganisation die Forderung nach «Health in all policies», sprich: «Gesundheit in allen Politikbereichen». Wir müssen die Gesundheit also überall mitberücksichtigen, in der Wirtschaft, in der Raumplanung und so weiter. Und weil Gesundheit und globale Umweltverände­rungen so untrennbar miteinander verbunden sind, würde ich das Wort «Planetary» hinzufügen, also «Planetary Health in all policies».

Kann die Erde überhaupt noch gesund werden?

Was Klimawandel und Biodiversitätsverlust so gefährlich ­machen, sind die sogenannten Kipppunkte. Hier funktioniert die Erde genau so wie der menschliche Organismus. Der Körper kann ein chronisches ­Leiden wie eine kranke Leber sehr lange kompensieren – doch plötzlich kippt es und es kommt zu Organversagen und im schlimmsten Fall zum Tod. Wann das passieren wird, ist im ­Voraus sehr schwer abzuschätzen. Bei der Erde ist es genauso. Sie kann lange kompensieren, aber irgendwann kippt es.

Aber es ist noch nicht zu spät?

Wir haben das enorme Privileg – oder die grosse Bürde – die ­erste Generation zu sein, die die Diagnose kennt. Und wir sind eine der letzten Generationen, die noch Handlungsspielraum hat, um etwas zu verändern. Wir haben es noch in der Hand und hier müssen wir den Menschen unbedingt Mut machen. Alle, die die Notlage erkannt haben und etwas tun: Lasst nicht nach, wir können etwas erreichen!

 

BETTINA EPPER, stellvertretende Chefredaktorin Pro Natura Magazin.

 

Ausgetrockneter Ria de Val Cama
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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