Bundeshaus in Bern Matthias Sorg/Pro Natura
30.09.2019

Hanspeter Guggenbühl: «Wächst die Wirtschaft, schrumpft die Natur»

Er verfolgt die Umweltpolitik seit 40 Jahren und mag deshalb vor den Wahlen nicht allen Umweltversprechen Glauben schenken. Doch der Journalist Hanspeter Guggenbühl ist auch der Meinung, dass die Politik die zentrale Umweltfrage nicht angeht.

Pro Natura Magazin: Vor den Wahlen scheinen wir uns nicht mehr um die Zukunft unseres Planeten sorgen zu müssen, weil sich fast alle Parteien sehr umweltbewusst geben.

Hanspeter Guggenbühl: Offensichtlich gehen die meisten Parteien davon aus, dass die Umwelt respektive der Klimawandel im Zentrum der Wahlen steht. Eine Partei weicht davon ab, indem sie den Klimawandel in Frage stellt oder sagt, dass die Schweizer Politik keinen Einfluss darauf habe.

Sie sprechen von der SVP.

Genau. Ich schliesse nicht aus, dass man auch mit dieser Haltung Erfolg haben kann, indem man Leute abholt, die eine Politik gegen den Klimawandel ablehnen.

Den grössten Wandel bei der Klimadebatte hat die FDP vollzogen. Sie verfolgen die Umweltpolitik nun seit 40 Jahren. Ist diese Neupositionierung glaubwürdig?

Viele Kommentatoren haben von einer Kehrtwende gesprochen, aber in Programmpapieren hat sich die FDP schon immer mit Umweltpolitik beschäftigt und forderte zum Beispiel schon vor Jahrzehnten ökologische Lenkungsabgaben.

Zum Durchbruch verholfen hat sie diesen aber nie.

Ja, im konkreten Fall hat sie eben immer anders als in ihrem Parteiprogramm entschieden.

Sind Umweltthemen bei der FDP also nur eine Art «nice to have», das in einer Abwägung immer den Wirtschaftsinteressen unterliegt.

Als Journalist habe ich mich oft dem Thema Bekenntnisse und Handeln gewidmet, und da gibt es bei der selbstdeklarierten Wirtschaftspartei tatsächlich Widersprüche. Im konkreten Fall hat die FDP den kurzfristigen Interessen der Wirtschaft immer Vorrang eingeräumt und ist den Parolen der grossen Wirtschaftsverbände gefolgt. Das Kurzfristige oder Kurzsichtige hat bei allen Parteien Vorrang, weil eine Legislatur nur vier Jahre dauert und Politiker in dieser Zeit «Erfolge» vorweisen müssen, um wiedergewählt zu werden.

Die FDP wollte nach Fukushima auch einmal für kurze Zeit aus der Atomkraft aussteigen …

… Ja und hat danach die neue Energiestrategie bekämpft. Wer glaubt, «blau ist das bessere grün» und die blaue FDP sei darum eine Umweltpartei, muss selber etwas blau sein – im Sinne von blauäugig.

 

 

Hanspeter Guggenbühl (70) verfolgt als freischaffender Journalist seit über 40 Jahren intensiv die nationale Umwelt- und Wirtschaftspolitik und hat für zahlreiche Medien gearbeitet. Zu seinen Kernthemen, insbesondere der Wachstumspolitik, hat er auch mehrere Bücher verfasst.

Porträt von Hanspeter Guggenbühl

In der Mitte des Parteispektrums beklagt sich die CVP gerne, dass niemand mehr unaufgeregte und konsensfähige Mittepolitik unterstütze. Hat die CVP Ihrer Meinung nach in der Umweltpolitik diese Vermittlerfunktion zwischen dem rechtsbürgerlichen und linksgrünen Block?

Im Umweltrating sieht man, dass die CVP umweltfreundlicher stimmt als die FDP und selbstredend die SVP. Die CVP hat als Zünglein an der Waage auch schon linksgrünen Umweltanliegen zum Durchbruch verholfen, aber generell haben bei ihr Umweltanliegen keinen Vorrang.

Ist die CVP für Sie als langjähriger Beobachter berechenbar, und lässt sich anhand ihres Parteiprogramms klar abschätzen, wie sie sich bei anstehenden Umweltvorlagen positionieren wird?

Sie ist eine Wundertüte. Und sie stimmt weniger geschlossen als die Parteien links und rechts von ihr.

Makellose Umweltbilanzen haben im Umweltrating die Grünen und die SP. Sind sie Garanten für eine konsequente Umweltpolitik?

Über die vergangenen Jahrzehnte sind es tatsächlich nur die linksgrünen Parteien gewesen, die sich konsequent für Umweltanliegen eingesetzt haben. Doch das Umweltrating spiegelt nicht alle relevanten Einflüsse auf unsere Umwelt. Weltweit, aber auch in der Schweiz, besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Wirtschaft und dem Zustand der Umwelt. Wächst die Wirtschaft, schrumpft die Natur, weil eine wachsende Wirtschaft tendenziell mehr natürliche Ressourcen verbraucht, Emissionen wie CO2 ausstösst und Abfall hinterlässt. Deshalb war das Rezessionsjahr 2009 seit der Jahrtausendwende das einzige Jahr, in dem der globale Ausstoss von Treibhausgasen rückläufig war. Als Konsequenz hat aber keine Partei gefordert, weder global noch national, dass die Wirtschaft schrumpfen solle. Zugegeben, in den vergangenen Jahren hat sich der Ressourcenverbrauch ein bisschen vom Wirtschaftswachstum entkoppelt, doch absolut hat er weiter zugenommen.

Hier würde wohl die GLP anknüpfen und einwenden, mit technischer Innovation seien die grossen Umweltprobleme zu lösen.

Das mag die GLP sagen, und das sagen alle Umwelttechnokraten. Doch diese Hoffnung ist fünfzig Jahre alt und hat sich punkto Naturverdrängung, Ressourcenverbrauch und Klimawandel nicht erfüllt. Man kann hoffen, dass sich das jetzt alles ändern wird und die GLP wählen. Ich selber bin weniger technikgläubig. Dank technischem Fortschritt konnten zwar schädliche Auswirkungen verringert werden, etwa durch die Filterung von Schadstoffen, letztlich ist das aber nur Symptombekämpfung.

Kurzum: Sie sagen, dass die Politik an den grossen Problemen vorbeischrammt.

Das ist so, die zentrale Frage für unsere Menschheit müsste lauten, wie eine Welt ohne Wirtschaftswachstum funktionieren kann. Doch die Zwänge des Wirtschaftssystems sind viel stärker als die Einflüsse der Politik.

Die Politik definiert die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Ja, aber es gab noch nie einen politischen Vorstoss, der die Schrumpfung des Bruttoinlandprodukts gefordert hat.

Auf linksgrüner Seite sind Aspekte wie Ressourcenverbrauch durchaus Schlüsselthemen. Sie waren auch der zentrale Aspekt der Volksinitiative der Grünen Partei «für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft». Doch die klar verlorene Abstimmung hat gezeigt, dass solche Forderungen nicht mehrheitsfähig sind.

Das mag das Dilemma der Politiker aufzeigen: Wenn jemand zu wirtschaftlichem Rückschritt und weniger Wohlstand aufruft, ist die Gefahr gross, dass er nicht wiedergewählt wird.

Das klingt nach einem ernüchternden Votum, dass es egal ist, wen man wählt, oder dass man gar nicht wählen soll.

Der Einfluss der Politik ist in einer globalisierten Welt mit vielen wirtschaftlichen Sachzwängen tatsächlich begrenzt. Doch innerhalb dieser Grenzen soll man trotzdem eine engagierte Politik betreiben und erreichen, was möglich ist. Irgend jemand sagte einmal: Auch wenn die Welt morgen untergeht, lohnt es sich, heute noch ein Apfelbäumchen zu pflanzen.

Interview: Raphael Weber, Chefredaktor Pro Natura Magazin

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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