Biodiversitätskonvention: Artenvielfalt am Scheideweg
Wo früher Wiesen waren, stehen heute Häuser. Wo früher Hecken, Obstbäume und bunte Felder blühten, erstrecken sich heute oft Monokulturen bis zum Horizont. In vielen kleinen Bächen sind Pestizide nachweisbar. Und jedes Jahr wird es auf der Erde wärmer. Es fliegen weniger Singvögel durch unseren Garten. Wir brauchen immer mehr Wasser, um unsere Balkonpflanzen vor dem Verdursten zu retten.
Wir spüren täglich: Biodiversität und Klima stecken in der Krise. Wir müssen handeln. Das taten zum Beispiel 14'000 Zürcher Stimmberechtigten, die 2018 mit ihrer Unterschrift der kantonalen «Natur-Initiative» zum Erfolg verhalfen. Die Initiative fordert genügend Mittel für die Erhaltung und die Förderung der Zürcher Natur.
Der Bedarf ist seit Jahrzehnten bekannt
Die Initiative verlangt jährlich mindestens 55 Millionen Franken für den Naturschutz im Kanton. Ein stolzer Betrag, könnte man meinen. Doch die 55 Millionen entsprechen bloss 10 Prozent des Betrages, den Zürich jährlich ins Strassen- und Schienennetz investiert. Und 0,25 Prozent des jährlichen kantonalen Budgets.
Die Geldforderungen der Initiative sind nicht aus der Luft gegriffen: Der Zürcher Regierungsrat selbst hatte 1995 ausgerechnet, dass es jährlich 49 Millionen Franken braucht, um die Zürcher Natur zu schützen. Bisher wurde gerade mal ein Drittel dieses Betrages für die Biodiversität investiert.
Kantonale und nationale Bewegung im Gang
Die Zürcherinnen und Zürcher sind nicht die einzigen, die sich um ihre Natur sorgen. In der ganzen Schweiz sind Bewegungen im Gange, um die kantonalen Regierungen endlich in Richtung Biodiversitätsschutz voran zu bringen. Auch im Thurgau kam eine Volksinitiative zustande, die eine kantonale Biodiversitätsstrategie fordert mit zusätzlichen Millionen, die dafür investiert werden sollen.
Auf nationaler Ebene fordert Pro Natura mit weiteren Umweltverbänden ebenfalls eine Trendwende: Mit der Biodiversitätsinitiative soll der Schutz der biologischen Vielfalt in der Verfassung verstärkt werden. Mit diesem Schritt stünde endlich genügend Geld und auch mehr Fläche zur Verfügung, um die Flora und Fauna der Schweiz besser zu schützen.
Internationale Ziele: nicht erreicht
Dass es sich bei dieser Biodiversitätskrise nicht um ein neues, überraschendes Phänomen handelt, zeigt auch die Diskussion auf der internationalen Bühne: Bereits 1992 einigten sich die Vereinten Nationen auf die «Biodiversitätskonvention». Mit dem Ziel, das Artensterben einzudämmen.
28 Jahre später sehen die Erfolge dürftig aus: Die Zwischenziele, welche sich die Vertragsparteien immer wieder gesteckt hatten, wurden nicht erreicht. Auch die Schweiz hat es nicht geschafft, die 2010 gemeinsam beschlossenen «Aichi-Ziele» umzusetzen, die sie bis 2020 hätte erfüllen müssen.
Eigentlich wäre eine Vertragsstaaten-Konferenz im chinesischen Kunming im Oktober 2020 der nächste Meilenstein für den weltweiten Schutz der Biodiversität gewesen. Mit der Corona-Pandemie wird die Konferenz nun auf Frühjahr 2021 verschoben - auf der die Vereinten Nationen neue Beschlüsse zu Lösung der Umweltprobleme der Gegenwart fassen können.
Trendwende dringend nötig
Unabhängig von der herrschenden Pandemie ist heute nicht klar, in welche Richtung sich der Kampf gegen das Artensterben entwickeln wird: Denn die bisher vorliegenden Pläne für den ersten Vertragsentwurf, den sogenannten «zero draft», laufen Gefahr, genauso wenig Wirkung zu entfalten wie der Vorgänger, die «Aichi-Ziele». Zu dieser Einschätzung kommt Friedrich Wulf, Projektleiter Internationale Politik bei Pro Natura.
Das grosse Problem: Es werden zwar internationale Ziele gesetzt, doch die Zielerreichung wird nicht verbindlich überprüft und ist nicht einforderbar. So wird es auch in Zukunft unmöglich sein, dem Artensterben Einhalt zu gebieten. Zwar will der «zero draft» auch die Bereiche Wirtschaft, Handel und Landwirtschaft zur Verantwortung ziehen, um die Natur weltweit langfristig zu schützen. Aber ohne griffige Regelungen zur Umsetzung ist die dringend nötige Trendwende beinahe unmöglich. Pro Natura kämpft im Rahmen ihres Netzwerks Friends of the Earth International dafür, dass die Regierungen auf höchster Ebene endlich Verantwortung übernehmen und die Biodiversitätskonvention kein Papiertiger bleibt.