Raps-Stoppelfeld: Gut sichtbar ist der braune Boden zwischen den einzelnen Stoppeln, ohne jeder Pflanze dazwischen Pro Natura
28.07.2020

Neue Studie: Geld ausgeben, damit die Artenvielfalt schrumpft?

Die Schweiz schüttet alljährlich Milliarden aus, um beispielsweise die Landwirtschaft, die Stromproduktion oder Infrastrukturprojekte zu unterstützen. Das Problem: 40 Milliarden Franken davon schädigen unsere Natur oder zerstören sie sogar. Das muss sich dringend ändern!

Die Bäuerin erhält Geld für das bestellte Feld, der Strassenbau wird über Verkehrsabgaben finanziert, dem Wasserkraftwerk wird die Stromproduktion vergütet. Um all dies zu unterstützen, greift der Staat den Produzentinnen und Konsumenten mit Subventionen unter die Arme.

160 Subventionen schaden der Artenvielfalt

Es ist seit langem bekannt: Diese Mittel können in der Natur und für die Artenvielfalt grossen Schaden anrichten. Die neue, von Pro Natura unterstützte Studie «Biodiversitätsschädigende Subventionen in der Schweiz», identifiziert zum ersten Mal über alle Sektoren hinweg 160 Subventionen, die unserer Biodiversität schaden.

Das Paradoxe: Während rund 40 Milliarden in solche schädlichen Subventionen fliessen, will der Bund nur einen Bruchteil davon ausgeben, um unsere Artenvielfalt zu schützen. Mit einem sehr kleinen Pflaster wird also versucht, die durch viel grösseren Geldflüsse geschehenen Schäden zu reparieren.

Infografik: Für die Wirtschaft gibt’s den «Goldtopf», für die Natur ein kleines Pflaster...

Infografik mit 2 Geldsäcken: 40 Milliarden CHF für Subventionen, die Biodiversität schädigen und 518 Millionen zum Schutz der Biodiversität Pro Natura
Mindestens 518 Millionen CHF gibt die Schweiz für die Biodiversität aus. Die detaillierte Zusammenstellung der Ausgaben finden Sie in der Studie auf S. 20. © Pro Natura

Was ist eine Subvention – und wann schadet sie der Biodiversität

Die Schweiz kennt unterschiedliche Arten von Subventionen und finanziellen Fehlanreizen:

  • Zahlungen: Es fliessen Steuergelder für Leistungen, wie z.B. sogenannte «Versorgungssicherheitsbeiträge» in der Landwirtschaft. Ein Basisbeitrag pro bewirtschaftete Hektare unterstützt Betriebe bei ihrer Arbeit.
  • Verzicht auf Steuereinnahmen: Beispielsweise sind Flugtreibstoffe bei internationalen Flügen von der Mineralölsteuer befreit.
  • Kostenübernahmen: Gelangt zum Beispiel zu viel Phosphor in einen See und muss dieser danach wegen Sauerstoffmangel künstlich belüftet werden, dann wird dies von Gemeinden, Kanton und Bund bezahlt – letztlich mit Steuergeldern.
  • Finanzielle Fehlanreize: Einige Gelder wie z.B. der Grossteil der Einnahmen aus den Verkehrsabgaben dürfen nur für den Strassenausbau und -unterhalt verwendet werden, wenngleich vielleicht Ausgaben in anderen Bereichen einen grösseren Nutzen für die Bevölkerung brächten.

Diese unterschiedlichen Arten werden in der Studie identifiziert. Mit diesen Geldern werden falsche Impulse gesetzt: Sie verhindernden Abschied von veralteten und naturschädlichen Praktiken oder Technologien. Das Resultat: Zu viele natürliche Ressourcen werden verbraucht, die Umwelt verschmutzt und die Artenvielfalt zerstört.

Natürlich: Nicht jede Subvention schädigt im gleichen Ausmass – je nach Art und Umsetzung sind die Folgen für die Natur mehr oder weniger gravierend. Umso wichtiger ist es, dass die Biodiversität ein wichtiges Kriterium wird, wenn zukünftig die Subventionen überprüft werden!

Beispiel Basisbeiträge für die Landwirtschaft

Basisbeiträge für Versorgungssicherheit sollen die Versorgung der Schweiz mit Nahrungsmitteln sicherstellen. Für jede Hektare Wiesen oder Weiden (im Fachjargon: Grünland) erhält der Landwirtschaftsbetrieb 900 CHF Subvention. Das Geld ist an keine Auflagen für die Förderung der Artenvielfalt gebunden. Der Basisbeitrag für  Grünland ist zudem gekoppelt an eine Mindestanzahl an «raufutterverzehrenden Nutztieren» – also Kühe, Schafe oder Ziegen. Wer weniger Tiere pro Fläche hält, kriegt prozentual entsprechend tiefere Basisbeiträge.

Die Studie «Biodiversitätsschädigende Subventionen in der Schweiz» bezeichnet diese Subvention als partiell schädlich, weil sie die Betriebe dazu motiviert, ihr Grünland intensiver zu nutzen und mehr Tiere zu halten, als für die Natur angemessen ist. Immerhin: Für die Agrarpolitik 22+ sind in diesem Bereich bereits Anpassungen geplant, zum Beispiel keine Mindestzahl an Tieren.

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Grüne Wiese am Waldrand Matthias Sorg
Grünland: Wird ohne Auflagen zur Förderung der Artenvielfalt subventioniert

Beispiel Stickstoffeinträge im Gewässer, Luft und Boden

Seit dem 20. Jahrhundert nutzen Menschen künstlichen Stickstoff für die intensive Landwirtschaft. Diesen können sie als günstigen Dünger aufs Feld austragen. Mit fatalen Folgen: Gelangt der Dünger in die Gewässer, so düngt dies auch das Wasser und die Wasserpflanzen vermehren sich enorm.

Mehr Pflanzen benötigen mehr Sauerstoff, für die anderen Gewässerlebewesen wie Fische, Amphibien oder Insektenlarven bleibt nichts mehr übrig und sie ersticken.

Auch Ammoniak, ein Abbauprodukt des Stickstoffs, kann Lebensräume wie zum Beispiel Moorlandschaften gefährden. Und Lachgas, das beim Abbau des Stickstoffes im Boden entsteht, heizt als Treibhausgas unser Klima an.

Diese Folgen machen deutlich: Das Anreizsystem muss umgestaltet werden. Es braucht Vorschriften beim Einsatz von Dünger, die Anreizsysteme in der Landwirtschaft müssen überdacht werden und jene Landwirte, die mit weniger Dünger und Tieren ihren Boden schonen, dürfen nicht finanziell benachteiligt werden.

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Traktor fährt auf der Strasse und spritzt Gülle Matthias Sorg
Der massvolle Einsatz von Gülle ist ein wertvoller Helfer in der Landwirtschaft. Aber viele Betriebe setzen zusätzlich auf künstlichen Dünger – mit fatalen Folgen für die Natur.

Beispiel Wasserkraftwerke: Wenig Strom und grosser Schaden

Für neue Wasserkraftwerke gilt oft: Der angerichtete Schaden für die Natur steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Mittlerweile wird beinahe jedes Fliessgewässer durch die Stromproduktion beeinträchtigt – auch wenn die produzierten Kilowattstunden vielfach den ökonomischen Aufwand und die ökologische Beeinträchtigung nicht wert sind.

Denn mit jedem Wasserkraftwerk wird die Natur im und teilweise um den Bach stark beeinträchtigt. Das Ausleiten entnimmt dem Gewässer sein Lebenselixier, das Anstauen macht Flüsse zu Seen und die bedarfsgerechte Produktion aus Speicheranlagen verändert die natürlichen Abflussbedingungen in einem Fluss massiv. Wenn ein Insekt oder Fische ihre Eier bei Hochwasser ablegen, kann es gut sein, dass sie schon bald auf dem Trockenen liegen und Absterben. Und die Restwassermenge, die nicht für die Stromproduktion verwendet werden kann, ist so niedrig, dass vielfach nur noch ein Rinnsal im alten Bachbett verbleibt– teilweise sogar gar kein Wasser. Für die Biodiversität sind Anreize zum weiteren Ausbau der Wasserkraft sehr schädlich.

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Wasserfassung im Val Cama Matthias Sorg
Wasserfassung im Val Cama: Kaum ein Fluss in der Schweiz, der nicht für die Wasserkraft genutzt wird

Subventionen: Es braucht einen Wandel

Die Studie fordert unter anderem:

  • Alle Subventionen der verschiedenen Sektoralpolitiken müssen periodisch auf die Biodiversitätswirkung überprüft werden – und dies auf Bundes-, Kantons- und Gemeinde-Ebene.
  • Subventionen müssen zeitlich befristet werden: So können bei einer Neuvergabe Begründung und Bedingungen überprüft und angepasst werden.
  • Biodiversitätsschädigende Subventionen müssen abgeschafft, abgebaut oder umgestaltet werden. Oftmals stellen Subventionen wichtige Einkommensquellen dar und ihre Abschaffung würde für die Empfänger eine besondere Härte bedeuten. In vielen dieser Fälle lassen sie sich biodiversitätsfreundlich umgestalten. Bei anhaltender Biodiversitätsschädigung braucht es Sanktionsmöglichkeiten
  • Wenn Fördergelder ausbezahlt werden, dann muss die Biodiversität ein wichtiger Faktor sein, um die Mittelzuteilung zu steuern. Praktiken, die das Artensterben befeuern, dürfen dafür nicht noch Fördergelder erhalten.
  • Dort, wo die Artenvielfalt geschwächt wird, müssen Anreize für jene Leute gesetzt werden, welche die Biodiversität stärken. So bräuchte es beispielsweise wesentlich mehr Gelder als heute verfügbar sind, um die gesetzlich vorgesehene ökologische Sanierung der Wasserkraft voranzutreiben.

Eine vollständige Liste der Forderungen findet sich im Factsheet der Studie.

Weiterführende Informationen

Info

Das Bild zuoberst zeigt ein abgeerntetes Rapsfeld im Juli. Für diesen Raps bezahlt der Bund als Marktstützungsmassnahme einen sogenannten Einzelkulturbeitrag von CHF 700 pro Hektare (2020). An diese Subvention sind keine ökologischen Auflagen geknüpft (siehe Subvention 53 in der Subventionstabelle). Dabei könnte mit der Pflicht zur Untersaat im Raps eine deutliche Reduktion des Herbizideinsatzes erreicht werden. Die mitgesäten niedrig wachsenden Pflanzen unterdrücken das unerwünschte Beikraut, ein Gifteinsatz erübrigt sich.