Interview mit Simonetta Sommaruga: «Dieses Jahrzehnt wird entscheidend sein»
Pro Natura Magazin: Im schwierigen Coronajahr wurde von den jungen Generationen viel Solidarität gegenüber der ältesten Generation abverlangt. Darf bei der Klimapolitik, und damit auch beim CO2-Gesetz, nun eine Solidarität in die umgekehrte Richtung erwartet werden?
Bundesrätin Simonetta Sommaruga: Ein intaktes Klima ist für alle Menschen wichtig – für die jungen und die alten. Klimaschutz funktioniert nicht, wenn wir die Generationen gegeneinander ausspielen. Dies gilt erst recht in der gegenwärtigen Pandemie, die uns in der Tat sehr fordert. Ohnehin bringt das revidierte CO2-Gesetz aber der ganzen Bevölkerung etwas: Es hilft mit, dass in klimafreundlichen Branchen Arbeitsplätze entstehen, und es belohnt jene, die beim Heizen und bei der Mobilität wenig CO2 verursachen. So erheben wir neu eine Flugticketabgabe, von welcher profitiert, wer nicht oder wenig fliegt. Zudem dient sie dazu, die umweltfreundlichen Nachtzüge zu unterstützen; diese sind ja attraktiv für Reisende jeden Alters. Kurz: Dieses Gesetz ist gut für alle Menschen – und gut für die Natur.
Einzelne Vertreterinnen der Klimajugend stehen dem CO2-Gesetz kritisch gegenüber, weil es ihrer Meinung nach zu wenig weit geht, um den Klimawandel entschieden zu bremsen. Was entgegnen Sie ihnen?
Ich will auch, dass es beim Klimaschutz vorwärts geht. Wer jetzt Nein sagt, hilft aber nicht jenen, die das Klima rascher und konsequenter schützen wollen, sondern es gewinnen jene, die weiterhin möglichst viel Öl verkaufen wollen. Das wäre ein grosser Rückschritt im Klimaschutz. Deshalb müssen wir die Weichen jetzt richtig stellen – und die Treibhausgase weiter deutlich senken. Das tut das Gesetz. Dieses Jahrzehnt wird entscheidend sein. Und nach 2030 werden die Anstrengungen weitergehen. Wir sind beim Klimaschutz noch lange nicht am Ziel. Aber ich bin zuversichtlich: Klima- und Naturschutz werden für die Bevölkerung immer wichtiger. Das ist auch dem Engagement der Umweltschutzorganisationen zu verdanken.
Und was entgegnen Sie der Erdöllobby, die Klimaschutzmassnahmen grossmehrheitlich als überflüssig bezeichnet?
Das Zeitalter von Erdöl, Gas und Kohle neigt sich dem Ende zu. Elektrofahrzeuge sind auf dem Vormarsch, Wärmepumpen und Solarpanels ersetzen Öl- und Gasheizungen; Schweizer Firmen sind längst dabei, von der fossilen Energie wegzukommen. Das weiss auch die Ölindustrie, und dagegen wehrt sie sich. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren 80 Milliarden Franken für Öl und Gas ins Ausland geschickt.
Mit dem Gesetz sorgen wir dafür, dass dieses Geld in der Schweiz für eine fossilfreie Zukunft investiert wird – zum Beispiel für die Anschaffung von Elektrobussen im öV oder für Ladestationen für Elektroautos.
Ist auch Solidarität gegenüber anderen Weltregionen gefragt, die wenig zum Klimawandel beigetragen haben, dessen Auswirkungen aber deutlich spüren?
Ja, die Schweiz steht hier in der Verantwortung, denn sie hat zusammen mit anderen Industrienationen in den letzten rund 150 Jahren zum Klimawandel beigetragen. Dieser trifft arme Regionen besonders hart. Ich war vor meiner Zeit als Bundesrätin Präsidentin der Entwicklungshilfeorganisation Swissaid und habe in Afrika gesehen, dass der Klimawandel zuerst zu Dürren, dann zu Ernteausfällen und als Folge davon zu verschärften Konflikten und zu Hungersnöten führt. Die Schweiz gibt Gegensteuer und unterstützt jährlich mit 450 bis 600 Millionen US-Dollar Massnahmen für den Klimaschutz in Entwicklungsländern.
Wie merken Sie persönlich, dass sich das Klima erwärmt und dass dringend Gegenmassnahmen ergriffen werden müssen?
Mir machen die Hitze und das schwüle Wetter wie vielen anderen auch zu schaffen. Ich geniesse im Sommer entsprechend die Berge. Aber dort ist unübersehbar: Das Klima ist aus den Fugen geraten. Die Gletscher schmelzen, der Permafrost taut auf, Hänge geraten ins Rutschen. In der Schweiz steigen die Temperaturen doppelt so stark wie im weltweiten Durchschnitt. Dauert dies an, leiden auch die Tiere: Eine Studie im Auftrag des Bundes hat kürzlich ergeben, dass sich in Zukunft Bäche und Flüsse im Sommer womöglich so stark erwärmen, dass Fische nicht mehr darin leben können, denn sie brauchen kühles Wasser. Und kleinere Gewässer drohen ganz auszutrocknen. Noch haben wir es in der Hand, diese Entwicklung zu bremsen und die Biodiversität zu schützen. Mit einem Ja zum revidierten CO2-Gesetz machen wir einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung.
Raphael Weber, Chefredaktor Pro Natura Magazin
- Beat Mumenthaler
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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