Begrünte Fläche neben Parkhaus @ Matthias Sorg
02.03.2021

Stadt: Mit mehr Biodiversität zu weniger Hitze

Die Klimakrise wird insbesondere unsere Siedlungsräume erhitzen. Deshalb braucht es einen Paradigmenwechsel: Die Biodiversität darf nicht länger auf Restflächen limitiert werden, sondern muss im Gegenteil das Rückgrat unserer Städte der Zukunft bilden.

Siedlungen sind Wärmeinseln. Die versiegelten Flächen und Gebäude absorbieren die Sonnenstrahlung und heizen die Umgebung auf. Kühlende Grünflächen sind Mangelware und Winde können wegen der Gebäude nur ungenügend zirkulieren. Dadurch ist es in Städten im Sommer am Tag und in der Nacht spürbar wärmer als im umliegenden ländlichen Raum. Und mit der starken Zunahme von Hitzetagen, Tropennächten sowie von Starkregen und Trockenperioden werden die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Siedlungen – Mensch und Natur – gleicher­massen leiden.

Momentan hat die Biodiversität im Siedlungsraum einen schweren Stand. Es fehlt ihr nicht nur der Raum, sie leidet auch unter der stetigen Zunahme von Versiegelung und Tiefbauten, einer Banalisierung der Grünflächen, der Konkurrenz invasiver Neophyten, Luftverschmutzung sowie der Zerschneidung von Lebens­räumen. Damit sich die Biodiversität an die rasch ändernden Standortbedingungen anpassen und deren Auswirkungen abmildern kann, braucht es einen Paradigmenwechsel: Frei­räume, auf denen sich die Biodiversität entfalten kann, dürfen nicht länger als Restflächen betrachtet werden. In Zukunft sollten wir die gesamte Siedlung mit den Gebäuden, Strassen und Infrastrukturen als Landschaft behandeln, bei der die Aussenräume das grüne Gerüst bilden, in das die Gebäude und Verkehrswege integriert werden. Die Biodiversität muss also zu einem zentralen Siedlungs­element werden.

Bäume Bäume Bäume!

Bäume beschatten Flächen und wirken so der Aufheizung versiegelter Flächen und Fassaden entgegen. Mit ihrem tief in den Boden reichenden Wurzelsystem haben sie auch in Trockenperioden noch Zugang zu feuchten Bodenschichten und können durch die Verdunstung aktiv die Umgebung kühlen. Gute Kühler sind alte Laubbäume mit grossen Kronen. Mit ihrer Grösse sind sie auch ein wichtiger Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten.

Bäume entfalten ihr Potenzial erst nach Jahrzehnten, deshalb ist es wichtig, den bestehenden Baumbestand gut zu schützen und zu pflegen – Zeit ist nicht ersetzbar! Ergänzend sind neue Bäume zu pflanzen und Voraussetzungen zu schaffen, dass sie alt und gross werden können. Damit die Bäume nicht nur für Kühlung sorgen, sondern auch als Lebensraum genutzt werden, sind hitze- und trockenheitsverträgliche heimische Arten und Arten aus angrenzenden wärmeren Klimazonen zu bevorzugen.

Wasser zurückhalten

Statt Regenwasser von Dächern, Strassen und Plätzen auf kürzestem Weg via Kanalisation abzuführen, sollte so viel Wasser wie möglich in Siedlungen zurückgehalten, gespeichert und erlebbar gemacht werden. Auf entsiegelten Flächen kann Regen­wasser vor Ort versickern und in Hitzephasen wieder verdunsten, wodurch die Umgebungstemperatur gekühlt wird.

Begrünte Dächer, Rückhalteanlagen und offene Gewässer dienen als Zwischenspeicher von Niederschlägen. Dadurch steht in Trocken­phasen der Vegetation mehr Wasser zur Verfügung und die Gestaltung vielfältiger Lebensräume wird möglich. Insbesondere Feuchtbiotope fördern die Biodiversität und schaffen Rückzugsraum für Arten, die kühlere Standorte bevorzugen.  

Flächen entsiegeln

Viele Siedlungsflächen sind versiegelt, obwohl dies für ihre Funktion unnötig ist. Das Potenzial für die Schaffung neuer Lebens­räume und die Versickerung von Wasser durch Entsiegelung von Parkplätzen, Wegen, Innenhöfen, Schulplätzen ist enorm. Unterbauten wie Tiefgaragen sollten nur unter Gebäuden angebracht werden. Selbst wenn diese begrünt werden, kann auf ihnen kein Wasser versickern und kein grosser Baum gedeihen.

Zukunftstaugliche Lebensräume sind lebensfähig und müssen nicht mit viel Aufwand am Leben erhalten werden. Das heisst für die Gestaltung von Freiräumen: mehr Wiesen statt Rasen, mehr Ruderalflächen statt Schottergärten, mehr trockenwarme Säume statt Wechselflor. Ein Mix verschiedener Lebensräume und pro Lebensraum viele verschiedene einheimische Arten helfen, Risiken zu streuen und Freiräume widerstandsfähig zu machen. Dazu braucht es die Einsicht, dass der ständige Wandel zur Natur gehört, und das Vertrauen, dass natürliche Lebensräume das ganze Spektrum von Reparatur und Wiederherstellung beherrschen. Sterben einige Arten wegen Trockenheit oder Überschwemmung ab, springen andere ein, die Sukzession beginnt wieder von vorne. Gerade diese dynamischen Anfangsstadien der Vegetationsentwicklung sind sehr artenreich, aber heute selten geworden.

Gebäude begrünen

Natur darf sich nicht nur auf Pärke, Strassenborde und Gärten beschränken. Begrünte Dächer mit hoher Biodiversität ersetzen Lebensräume am Boden nicht, sie können aber durchaus artenreich gestaltet werden und für Arten magerer Standorte attraktiv sein. Gründächer helfen zudem, Abflussspitzen zu brechen. Auch Fassadenbegrünungen halten Regenwasser zurück und kühlen durch die Verdunstung ihre Umgebung. Sie machen Siedlungen attraktiv und bieten Tieren Versteck und Nahrung.

Ein Verbund von grossen Grünflächen, kleinen Trittstein­biotopen vernetzt mit grünen Korridoren entlang von Strassen, Hecken, Alleen und Gewässern sorgt durch Beschattung, Verdunstung und Frischluftzufuhr aus dem Umland für Kühlung. Dieses Puzzle macht den Siedlungsraum für verschiedene Arten durchgängig, lässt sie die naturnahen Flächen besiedeln und bildet so das grüne Gerüst, das wir für lebenswerte Zukunfts­städte dringend benötigen.

Andrea Haslinger betreut bei Pro Natura das Dossier Natur im Siedlungsraum.

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Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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