Morgenstimmung
28.07.2021 Aktiv werden

Wenn Beispiele Schule machen

Am Anfang gesellschaftlicher Veränderungen steht oft persönliches Engagement. Im Thema dieser Ausgabe stellen wir deshalb rund zwei Dutzend Schweizerinnen und Schweizer vor, die in unterschiedlichsten Bereichen andere Menschen dazu inspiriert haben, ihr Umweltverhalten positiv zu verändern.

Eine andere Art von Landwirtschaft vermittelt

Im Alter von 25 Jahren musste er sich entscheiden, ob er Biologie oder Medizin studieren oder in die Landwirtschaft einsteigen möchte. «Ich wollte nicht Theoretiker, sondern Täter sein, deshalb entschied ich mich für die Landwirtschaft und baute mithilfe meiner Frau in Bäretswil einen Hof auf», sagt Martin Ott. Später pachtete er in Rheinau den grössten Bauernhof im Kanton Zürch und stellte ihn mit Mitstreitern auf biodynamische Produktion um. Heute ist Rheinau eine renommierte Institution, auch mit einer gentechnikfreien Saatgutversorgung für den Biolandbau und einer sozialtherapeutischen Stiftung.

Noch bis im Herbst ist der 65-Jährige Leiter der biodynamischen Ausbildung Schweiz für Landwirtinnen und Landwirte. Sein Ziel ist es, der Natur Nahrung zu entnehmen, ohne sie kaputt zu machen.

Weil er das Buch «Kühe verstehen – eine neue Partnerschaft beginnt» verfasste, gilt er auch als Kuhflüsterer. «In vielen Kulturen waren Kühe heilig. Durch die technischen Anforderungen, die man an sie stellt, werden bei uns aber die Kühe entstellt», sagt Ott, der trotz seines Hangs zum Praktischen gerne über grundlegende Fragen des Lebens diskutiert. sb

Martin Ott Nicolas Zentner
Martin Ott, Kuhflüsterer

Weniger ist so viel mehr!

Weniger. Dieses Wort fasst die Anliegen von Léna Abi Chaker am besten zusammen. Die Journalistin verfasst für die Zeitschrift «Moins!» Artikel, mit denen sie «einen kritischen Blick auf die heutige Gesellschaft werfen und praktische Lösungen für das tägliche Leben vorstellen» will. Auch privat legt sie Wert darauf, weniger zu konsumieren. «Ich wähle bessere Produkte und mache mehr selbst.» Sie bereitet alle Mahlzeiten eigenhändig zu und sammelt einen grossen Teil ihrer Lebensmittel in der Natur. «Ich benötige dafür nur zehn Minuten pro Tag, weil die Wildpflanzen in meiner Umgebung wachsen.» Ausserdem stellt sie viele Produkte selbst her, etwa mit «Sonnenblumenöl für die Haut oder mit Essig für den Haushalt».

Vor allem aber leistet sie weniger Erwerbsarbeit: Schluss mit 100 Prozent! «Das ist der erste Schritt zur Veränderung, er setzt Zeit und Energie frei, um vieles selbst zu tun. Am Ende spart man sogar noch Geld, der Kreis schliesst sich!» Sie wünscht sich, dass alle möglichst viel Autonomie gewinnen und fähig werden, für sich selbst zu sorgen, aber «natürlich nicht im Sinne des Geldverdienens. Es geht eher um die Fähigkeit, sich zu ernähren und zu kleiden, zu heizen, zu basteln, zu reparieren, zu bauen.» Dass dies möglich ist, zeigen ihre eigenen Erfahrungen. «Ich tausche mich mit anderen über interessante Entdeckungen oder einfache und praktische Lösungen aus.» fk

Léna Abi Chaker Nicolas Zentner
Léna Abi Chaker, Autonomie-Förderin

Den politischen Hebel angesetzt

Jahrelang hat sie für sauberes Trinkwasser gekämpft: Franziska Herren (54), der Kopf der Trinkwasserinitiative. Am Tag nach der Ablehnung durch die Stimmbevölkerung mag sie nicht von einer Niederlage sprechen. «Ich bin sehr froh, habe ich mich engagiert. Verloren haben die über eine Million Menschen, darunter auch Babys und Kinder, die Trinkwasser konsumieren, dessen Belastungen mit Pestiziden über dem Grenzwert liegen.»

Zum ersten Mal politisch engagiert hatte sich die Inhaberin eines Fitness-Studios aus Betroffenheit wegen des Unfalls im AKW Fukushima. Daraufhin lancierte sie im Kanton Bern eine Initiative für eine sofortige Abschaltung des AKW Mühleberg. Diese wurde zwar abgelehnt, die Betreiber legten den Reaktor 2019 dennoch still.

2017 lancierte sie die Trinkwasserinitiative, aus Empörung über eine verfehlte Landwirtschaftspolitik. Vielleicht brauche es beim Trinkwasser einen weiteren Anlauf, um die Bevölkerung zu überzeugen, sagt sie. Einen langen Atem hat Franziska Herren jedenfalls. Und sie beweist: Auch Einzelpersonen können grosse Veränderungen anstossen. sb

Franziska Herren Nicolas Zentner
Franziska Herren, Campaignerin

Die Nationalparkidee exportiert

Steivan Brunies (1877 – 1953), Biologe aus S-chanf (GR), Sohn eines früheren Goldgräbers, war ein Pionier im Naturschutz. Als Gymnasiallehrer in Basel hat er der Jugend die Natur nähergebracht. Dort initiierte er mit Paul Sarasin die Gründung des Schweizerischen Bundes für Naturschutz, der heutigen Pro Natura, dessen erster Sekretär er von 1909 bis 1935 war. In dieser Funktion gehörte er auch zu den Gründervätern des Schweizerischen Nationalparks im Unterengadin – der erste in Zentraleuropa.

Als dessen Oberaufseher erlebte Brunies die erfolgreiche Wiederansiedlung des Steinbocks, des Wappentiers von Pro Natura. Vergebens hoffte er aber auf eine Rückkehr einer anderen zwischenzeitlich ausgerotteten Tierart: «Mit dem Bären wird es wohl für immer vorbei sein», schrieb er wenige Jahre vor seinem Tod. Zum Glück behielt er unrecht, und ursus arctos breitet sich wieder zögerlich im Alpenbogen aus.

Miterleben durfte Brunies auch, wie «sein» Nationalpark Schule machte und in ganz Europa laufend Geschwister erhielt, mittlerweile knapp 300. Ausgerechnet in der Schweiz aber ist keines dazugekommen. zen

Steivan Brunies Nicolas Zentner
Steivan Brunies, Nationalparkgründer

«Ein kleiner Schritt für die einzelne Person …»

«Die Natur dient mir als Inspirationsquelle, vor allem die Berge. Ich lebe zwar erst seit anderthalb Jahren in der Schweiz, war aber von den Aufräumaktionen der Summit Foundation sofort begeistert. Diese freiwilligen ‹Putzeten› bringen die Menschen dazu, die Umwelt in unmittelbarer Nähe durch konkrete Massnahmen zu schützen. Ich bin in Usbekistan in der damaligen Sowjetunion aufgewachsen, als die Konsumgesellschaft mit ihrer Flut von PET-Flaschen und Plastiktüten gerade Fuss zu fassen begann. Unsere Flüsse waren teilweise enorm verschmutzt. Ähnlich in Tadschikistan, wo ich neun Jahre gearbeitet habe: Dort habe ich hoch in den Bergen Bäche gesehen, die mit Plastikabfall nur so zugemüllt waren.

Ich habe immer versucht, mich konkret für die Natur zu engagieren: In Jordanien trat ich einer Vereinigung für Aufräumaktionen bei, die natürliche Lebensräume wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückverwandelt. Nach meiner Ankunft in der Schweiz wurde ich schon bald Freiwilliger bei der Summit Foundation, die das gleiche Ziel verfolgt. Es ist ein kleiner Schritt für die einzelne Person – aber insgesamt ein grosser Schritt für die Umwelt.» fk

Kirill Kuzmin Nicolas Zentner
Kirill Kuzmin, Freiwilliger Abfallsammler
Stare am Himmel
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Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

Das Pro Natura Magazin nimmt Sie mit in die Natur. Es berichtet über kleine Wunder, grosse Projekte und spannende Persönlichkeiten. Prächtige Bilder und exklusive Angebote runden das Lesevergnügen ab. Alle Pro Natura Mitglieder erhalten das Magazin exklusiv fünf Mal im Jahr. Es blickt auf 48 Seiten hinter die Kulissen politischer Entscheide, präsentiert Forschungsergebnisse, erklärt die Natur. Und es schildert, wo, wie und warum Pro Natura für die Natur kämpft.