Ja zur Massentierhaltungsinitiative
15.08.2022 Biodiversitätskrise

Vier ökologische Gründe für ein Ja zur Initiative gegen Massentierhaltung

Warum die Initiative gegen Massentierhaltung auch gut für Biodiversität, Klima und Landschaft ist.

Es muht und quiekt und gackert in der Schweiz. Millionenfach. Und die Nutz­tiere pro Betrieb werden immer mehr: Der landwirtschaftliche Tierbestand ist seit den 2000er-Jahren um fast die Hälfte ­ge­stiegen und heute auf hohem Niveau stabil, während die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe um 20 Prozent zurückging. ­Immer mehr Tiere pro Betrieb, das ist schlecht fürs Tierwohl. Aber auch für Biodiversität, Klima und Landschaft. Ein wichtiger Schritt hin zu einer naturverträglicheren Tierhaltung ist die «Initiative gegen ­Massentierhaltung» (IGM), für die der ­Delegiertenrat von Pro Natura im April die Ja-Parole gefasst hat. Den Nutzen der Initiative für Natur und ­Umwelt fasst ­Philipp Ryf, Geschäftsleiter «JA zur Initiative gegen Massentierhaltung», so zusammen: «Die bodenunabhängige, ­industrielle Tierpro­duktion verursacht massive Treibhausgas- und Ammoniakemissionen. Die Initiative gegen Massentier­haltung sorgt dafür, dass Tiere wieder vermehrt auf Grasland ­gehalten werden. So kann die Schweiz ihrem Selbstverständnis einer ressourcenschonenden, tierfreundlichen Landwirtschaft ­gerecht werden.»

Vier Gründe, warum es für Natur und Umwelt wichtig ist, dass wir am 25. September Ja stimmen:

1. Biodiversität erhalten

Rinder produzieren Gülle. Sehr viel Gülle. Und der ent­haltene Stickstoff wird in Ammoniak (NH3) umgewandelt. Schweizweit fallen jährlich satte 42 000 Tonnen davon an, 70 Prozent mehr, als in den Umweltzielen für die Landwirtschaft vorgesehen sind. 94 Prozent stammen gemäss ­der Berner Fachhochschule im Auftrag des Bundesamts für Umwelt aus der Landwirtschaft.

Besonders viel NH3 entweicht im Stall, im Laufhof oder beim Ausbringen von Gülle. Die Luft trägt das NH3 in empfindliche Ökosysteme, wo es sich anreichert und dazu beiträgt, dass Böden versauern. Ammoniak schädigt die Flora aber auch direkt, da es toxisch über die Blattorgane wirkt. Besonders anfällig sind Flechten, doch auch Pflanzen in nährstoffarmen Heide- und Graslandökosystemen und die Bodenvegetation in Wäldern ­reagieren empfindlich. Ammoniak ist damit ein bedeutender Treiber des Artensterbens. Die Zahlen lassen aufhorchen: Heute sind alle Hochmoore, 84 Prozent der Flachmoore und 42 Prozent der Trockenwiesen und ­-weiden sowie 95 Prozent der Wälder durch übermässige Stickstoffeinträge aus der Luft beeinträchtigt, wie das Bundesamt für Umwelt in seinem Bericht «Bio­diversität in der Schweiz: Zustand und Entwicklung. Ergebnisse des Überwachungssystems im Bereich Biodiversität» (2017) festhält. Höchste Zeit also, zu handeln. Das sagt auch Pro Natura ­Prä­sidentin Ursula Schneider Schüttel: «Um die Biodiversität und damit auch die über­lebenswichtigen Funktionen von Boden, Wald und Gewässern zu erhalten, müssen die Tierbestände in der Schweiz deutlich reduziert werden» – was die Initiative ­gegen Massentierhaltung vorsieht.

Wollgras
«Alle Hochmoore, 84 % der Flachmoore und 95 % der Wälder sind durch übermässige Stickstoffeinträge aus der Luft beeinträchtigt.»
- Bundesamt für Umwelt

2. Klima schützen

Was wir essen, hat einen direkten Einfluss auf das Klima. In der Schweiz werden heute pro Jahr und Einwohner im Schnitt laut Agroscope ungefähr zwei Tonnen CO2-Äquivalent allein für die Ernährung ausgestossen. Ganz anders sähe die Bilanz bei einer vornehmlich pflanzlichen Ernährung aus. Zudem binden Pflanzen CO2 und speichern Kohlenstoff in den Böden – die Landwirtschaft könnte uns also, wie es der Weltagrarbericht ausdrückt, «rein theoretisch langfristig ­klimaneutral ernähren und kurz­fristig sogar mehr CO2 binden als ausstossen». Allerdings nur theo­retisch, denn davon sind wir weit entfernt. Weltweit stammen 14,5 Prozent der Treibhausgasemissionen gemäss der UNO-­Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO aus der ­Nutztierhaltung. Obwohl heute vegetarische und ­vegane Er­nährung breite ­Akzeptanz haben, ist der Hunger nach Fleisch immer noch gross. Jede Person in der Schweiz konsumiert rund 51 Kilogramm im Jahr, wobei im Ausland gekauftes Fleisch noch nicht mit­gezählt ist. Damit die Landwirtschaft klimaschonend wird, führt kein Weg daran vorbei, weniger tierische Produkte zu konsumieren. Was zudem der Gesundheit zuträglich ist, denn es ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass (zu viel) Fleisch ungesund ist. Sinkt der Konsum, wird auch die Anzahl Nutztiere in der Landwirtschaft abnehmen. Das hat noch weitere Vorteile: Damit können künftig Produkte aus dem Ackerbau direkt der ­Ernährung von Menschen dienen und landen nicht als Tier­futter in den Ställen. Rinder, ­Schafe oder Ziegen können Gras fressen und damit problemlos an Standorten gehalten werden, an denen Ackerbau nicht möglich ist, etwa in den Bergen.

Die Initiative gegen Massentierhaltung hilft dabei, die Menschen für das Thema fleischlose Ernährung zu sensibilisieren.

aller Nutztiere haben regelmässig Auslauf gemäss dem Tierwohlprogramm RAUS.
Mastpoulets dürfen auf 1 m2 gehalten werden.
ist die Mindestfläche für ein Rind von über 450 kg.

3. Strukturwandel abschwächen

Der Agrarbericht 2021 spricht eine klare Sprache: Mit 21,15 Hektaren hat sich die durchschnittliche Fläche pro landwirtschaft­lichen Betrieb in der Schweiz innert 30 Jahren nahezu ver­doppelt. Demgegenüber haben die Nutztierbestände in den letzten 20 Jahren nur leicht abgenommen. Das heisst, die Zahl der Tiere pro Hof nimmt zu. Das führt unter anderem dazu, dass sich immer grössere Ställe in der Landschaft ausbreiten. Dazu kommen ­immer mehr Fahrten mit Gülle auf viele verschiedene Parzellen oder die bei der Hühner- und Schweinehaltung immense Zufuhr an Futtermitteln pro Betrieb, auch aus dem Ausland.

Auch die artgerechte Haltung und Fütterung der Tiere wird in Grossbetrieben schwieriger, genauso wie eine Weidehaltung bei Wiederkäuern in vernünftiger Stallnähe mit immer grösser werdenden Herden. Kilian Baumann, Präsident der Kleinbauern-Vereinigung, Biobauer und ­Nationalrat der Grünen, bringt die Probleme dieser Entwicklung auf den Punkt: «Entscheidend für die Förderung der ­Biodiversität ist nicht alleine die biologische Landwirtschaft, sondern ebenso eine kleinteilige und vielfältige Agrarlandschaft. Wer das Insekten- und Vogel­sterben stoppen will, muss daher auch das Hofsterben und die damit verbundene Strukturverarmung angehen.»

Die Initiative gegen Massentierhaltung trägt dazu bei, dass die Anzahl Tiere pro Betrieb und pro Einheit beschränkt werden und kann den umweltschädigenden Tendenzen von «immer ­grös­ser» etwas Einhalt gebieten.

Ja zur Massentierhaltungsinitiative
«Wer das Insekten- und Vogel­sterben stoppen will, muss auch das Hofsterben und die damit verbundene Strukturverarmung angehen.»
– Kilian Baumann, Präsident der Kleinbauern-Vereinigung

4. Landschaft schonen

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft schadet auch der Landschaft. Immer grös­sere Betriebe mit immer mehr Nutz­tieren pro Betrieb, das führt zu immer grösseren Stallungen. Und ­diese kommen sehr oft ausserhalb der Bauzonen zu stehen, müssen mit neuen Strassen erschlossen werden und generieren ­unzählige Fahrten mit grossen Lastwagen.

Raus aus den Dörfern und rauf auf die grüne Wiese – die Gründe für diese Entwicklung liegen neben dem allgemeinen Strukturwandel auch in der Lärm- und Luftreinhaltungsgesetzgebung. Oder wie es die stv. ­Geschäftsleiterin der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, Franziska Grossenbacher, formuliert: «Die Abstandsvorschriften treiben die Ställe aus den Dörfern ­heraus. Zudem werden Neubauten absurd hoch subventioniert, sodass gar kein Anreiz besteht, möglichst günstig zu bauen und Umbauten überhaupt ins Auge zu fassen.» Problematisch ist auch, dass neue Stallbauten in der ­Regel Fertigbausysteme sind und auf ­betriebliche Abläufe optimiert sind, ohne jede Rücksicht auf den Standort. Was ­wiederum dazu führt, dass für den Bau solcher Ställe viele Veränderungen im Gelände notwendig sind.

Die Initiative gegen Massentierhaltung kann helfen, dass ­grosse Stallbauten ­seltener werden. «Weniger grosse Herden ­haben diesbezüglich tendenziell einen ­positiven Einfluss», sagt Grossenbacher. «Die Missstände sind damit allein aber noch nicht gelöst, sie ist nur ein Puzzleteil unter vielen.»

Bettina Epper, stellvertretende Chefredaktorin des Pro Natura Magazins.

Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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