In die Natur statt auf unsere Dächer?
«Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht.» Dieser Einzeiler aus der Energiesparkampagne des Bundes, dem wir in den letzten Wochen und Monaten wohl alle irgendwo begegnet sind, bringt es fast auf den Punkt. Besser formuliert müsste der Slogan lauten: «Energie ist eine wertvolle Ressource. Verschwenden wir sie nicht!» – und zwar ganz unabhängig vom aktuellen Umfang des Angebots.
Ein Drittel wird verschwendet
Verschwendung ist ein Kernproblem, dem wir nicht nur im Energieverbrauch begegnen. Doch in der breiten Öffentlichkeit wurde die Energieverschwendung erst zu einem Thema, als vor einer winterliche Strommangellage gewarnt wurde und die Energiepreise in die Höhe geschnellt sind. Der haushälterische Umgang mit Ressourcen ist unserer Hyperkonsumgesellschaft leider längst fremd geworden, entsprechend gross ist die Aufregung, wenn der Überkonsum plötzlich nicht mehr möglich scheint. Genau bei diesem Überkonsum liegt aber auch ein grosser Teil der Lösung. Bereits 2011 hatte die Schweizerische Agentur für Energieeffizienz aufgezeigt, dass unser Energieverbrauch alleine dank des technischen Fortschrittes bis 2035 um 36 Prozent sinken könnte. Und erst kürzlich hat das Bundesamt für Energie (BFE) in einem Bericht an den Bundesrat bestätigt, dass 25 bis 40 Prozent des Stroms in der Schweiz schlicht verschwendet wird und ganz ohne neue Gesetze oder gar Komforteinbussen eingespart werden könnte. In erster Linie durch den Ersatz (über)alter Elektrogeräte: von Heizungen über Boiler zu Umwälz- und Wärmepumpen, Kälteanlagen, Haushaltsgeräten usw..
Und nicht zuletzt natürlich auch durch unser individuelles Verhalten. Das beginnt auf kleiner Ebene wie beim Abschalten nicht genutzter Geräte, bei der Trocknung der Wäsche an der Luft und bei einer angemessenen Raumtemperatur. Noch stärker ins Gewicht fallen Dinge wie Terrassenheizung, Indoor-Swimmingpool oder ineffiziente Elektroheizsysteme. In der Verantwortung sind aber nicht nur wir alle, sondern natürlich auch Industrie und Wirtschaft. Jede Kilowattstunde Strom, die wir nicht verschwenden, hilft, wenn sich ein Versorgungsengpass abzeichnet.
Solarstrom wurde abgewürgt
Ein anderer Aspekt ist die Bereitstellung des Stroms. Seit Jahrzehnten fordern die Umweltverbände eine naturverträgliche Energiewende. Also weg von den nicht nachhaltigen fossilen und nuklearen Energieträgern, hin zu Strom aus erneuerbaren Quellen. Dass und wie dies möglich ist, hat die Umweltallianz mit ihrer Energiestrategie 2035 erst kürzlich wieder aufgezeigt.
Auch der Bundesrat hat 2019 entschieden, dass die Schweiz bis 2050 das Ziel von Netto-Null-Emissionen anstreben soll. In der Politik wurde aber lange gebremst, statt vorangetrieben. Die Energielobby, allen voran die Vertreter von Wasserkraft, Atomstrom und fossilen Energiequellen, waren zu sehr darauf bedacht, ihre Pfründe zu verteidigen oder im Fall der Wasserkraft sogar weiter auszubauen. Dies geschah auf Kosten der anderen erneuerbaren Energien.
Tausende Projekte auf Warteliste
So wurden bei der Einführung der Kostendeckenden Einspeisevergütung im Jahr 2009 lediglich fünf Prozent der Fördergelder für Solaranlagen vorgesehen. Auf der anderen Seite waren bis maximal 50 Prozent der Gelder für die Kleinwasserkraft vorbehalten. Eine Technologie, die seit über 100 Jahren ausgebaut worden ist und deren Zubau heute vielfach mit hohen ökonomischen und ökologischen Kosten verbunden ist. Über 300 kleiner Wasserkraftprojekte wurden via KEV gefördert, während Tausende von Solarprojekten auf die Warteliste verbannt wurden.
Erst mit der Einführung der Einmalvergütung konnte der Zubau von Solarstrom auf bestehender Infrastruktur wieder beschleunigt werden. Die halbherzige politische Unterstützung für die Dezentralisierung der Stromproduktion und für den Ausbau der Solarenergie im bebauten Gebiet begrenzte den Zubau von Solarstrom in den letzten Jahren unnötig.
Im Herbst wurde die Politik von den jahrelangen Versäumnissen und Blockadehaltungen eingeholt. Vor dem Hintergrund einer möglichen Strommangellage sahen bürgerliche Ständeräte die Chance, den aus ihrer Sicht lästigen Natur- und Landschaftsschutz massiv einzuschränken, anstatt die grosse Solaroffensive in den Siedlungen zu lancieren.
So wurden nun mit einem Dringlichkeitsbeschluss grosse Solaranlagen auf alpinen Freiflächen durchgeboxt und auch die Interessensabwägung von einer ganzen Reihe von Speicherwasserkraftwerken soll vorweggenommen werden. Die Aussicht, auf Kosten von Natur und Landschaft weiteren Profit zu schlagen, scheint so verführerisch zu sein, dass bei einem Teil der Beschlüsse nicht einmal mehr die Bundesverfassung respektiert wird.
Es droht die kopflose Ausbauschlacht
Die ständerätliche Umweltkommission hatte sogar vorgeschlagen, den Vollzug aller Umweltbestimmungen auszusetzen, bis die Ausbauziele gemäss Energiegesetz erreicht sind. Ein Freipass also für jede Anlage, sei sie auch noch so sinnbefreit und schädlich. Immerhin in diesem Punkt wurde bislang anders entschieden. Doch die Gefahr einer kopflosen Ausbauschlacht auf Kosten von Natur und Landschaft ist noch lange nicht gebannt.
- Matthias Sorg
Dabei können wir die Energiewende rasch und zielführend vorantreiben, ohne die Natur- und Landschaft massiv zu beeinträchtigen. Dazu braucht es aber endlich Vorgaben und Verpflichtungen für den Ausbau und die Nutzung von Solarenergie im bebauten Gebiet, statt auf der grünen Wiese. Dagegen hat sich die bürgerliche Parlamentsmehrheit aber bisher gestemmt.
Es braucht sorgfältige Planungen und Standortabklärungen für die Nutzung der letzten Wasserkraftpotenziale und Standorte für die Windenergie, statt einen Freipass auf Kosten von Schutzgebieten und der Biodiversität. Und es braucht uns alle. Ein haushälterischer Verbrauch sollte nicht nur eine Frage des Kostendrucks sein. Selbst wenn Energie günstig ist, hat ihre Bereitstellung in vielen Fällen Auswirkungen auf die Natur und Landschaft: «Energie ist eine wertvolle Ressource. Verschwenden wir sie nicht!»
Michael Casanova betreut bei Pro Natura das Dossier Energiepolitik
Mehr dazu: energiewende2035.umweltallianz.ch
- Angela Peter
Weiterführende Informationen
Info
Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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