«Nun verschlucken sie alles … »
«Hier, am Eingang zum Misox, macht sich der Götterbaum breit, ein invasiver Neophyt. Fachleute sagten uns, dass er sich nur auf Lichtungen ausbreiten würde, doch nun besiedelt er auch alle schattigen Standorte und breitet sich auf Kosten der einheimischen Bäume aus.»
Luca Plozza ist Forstingenieur beim Bünder Amt für Wald und Naturgefahren und Präsident der Schweizerischen Gebirgswaldpflegegruppe. Er war die treibende Kraft bei der Schaffung des riesigen Waldreservats Val Cama, Leggia und Grono sowie bei der Wiederherstellung und Aufwertung der eindrücklichen Kastanienselven in Soazza.
- Raphael Weber
«Schau mal hier: Vor zehn Jahren hatte es noch keinen Götterbaum hier, nun verschlucken sie alles – auf Hektaren. Die Exoten aus China finden hier optimale Standortbedingungen; sie sind sich Hitze und Trockenheit gewohnt. Zudem hat der Götterbaum eine sogenannte allelopathische Wirkung und hemmt in seinem Umfeld die Keimung anderer Pflanzen – er ist eine richtige Kampfmaschine.»
Ein wichtiger Faktor sind aber auch die viel zu hohen Wildbestände: Die Jungbäume der einheimischen Arten werden vor allem durch Hirsche und Rehe verbissen; die fremden Götterbäume aber lassen sie in Ruhe, und so werden diese zur Plage. Eine stärkere Regulierung der Wildbestände ist deshalb stark zu begrüssen; durch den Menschen, den Wolf und den Luchs.
«An anderen Standorten bekämpfen wir die Ausbreitung der Götterbäume nun rigoros, doch hier ist es zu spät, ein Kampf gegen Windmühlen. Natürlich wird nun die Frage aufgeworfen, ob wir die Wälder nicht einfach den Götterbäumen überlassen sollen. Doch dann stelle ich die Gegenfrage, ob Roger Federer wohl auch sein ganzes Vermögen auf ein einziges Investment setzen würde. Siehst du, was ich meine? Falls sich auf einmal eine Epidemie unter den Götterbäumen ausbreiten sollte, hätten wir ein gigantisches Problem. Dazu kommt: Für die Biodiversität haben die Götterbäume einen geringen Wert. Sie bieten sehr wenigen Arten eine Lebensgrundlage.»
- Raphael Weber
Die Kastanien waren hier 2000 Jahre lang die dominanten Bäume und besiedelten die Hänge des unteren Misox. Nun sind 80 Prozent in diesen Lagen verschwunden, sie können zwar gut mit Hitze umgehen, nicht aber mit Trockenheit. Also wandern sie nach oben und hinterlassen viel Totholz. Dies erhöht die Gefahr und vor allem die Intensität von Waldbränden. Die Brände ziehen dann nicht einfach durch, sondern setzen sich richtig fest. Dadurch erhöht sich die Erosion, aber auch die Steinschlaggefahr.
«Dies ist problematisch, weil wir hier viele Schutzwälder haben. Im Misox mit seinen steilen Talflanken schützen sie unsere Dörfer und Strassen gegen Steinschläge, Lawinen und Erdrutsche. Doch die Schutzwälder geraten auch durch den Borkenkäfer unter starken Druck. Diese befallen die Bestände der Fichten – die dominanten Bäume in den hochmontanen und subalpinen Lagen – die durch die klimatischen Veränderungen stark geschwächt sind. In den tieferen Lagen wird ein Grossteil der Fichtenbestände verschwinden – Ciao! –, auch sie wandern in die Höhe.»
«Andere Bäume können ihren Platz einnehmen; verschiedene Eichensorten oder auch der Spitzahorn kommen mit den neuen Bedingungen viel besser zurecht. Doch solange die Fichten in den Schutzwäldern stark vertreten sind, können wir sie nicht grossflächig sterben lassen, sonst sind Siedlungen und Strassen rasch gefährdet.»
«Bei der Pflege von Schutzwäldern ist es wichtig, auf eine gute Artenvielfalt und eine reiche Struktur zu achten. Dazu pflanzen wir auch gezielt Bäume. Bei der Wahl stützen wir uns auf Klimamodelle und wissenschaftliche Klima-Apps. Natürlich braucht diese Arbeit Ressourcen, doch das ist immer noch viel günstiger, als Schutzbauten zu errichten.»
«Wo der Wald keine Schutzfunktion hat, können wir der Natur auch freien Lauf lassen. Darum haben wir ja zusammen mit Pro Natura ein riesiges Waldreservat geschaffen. Auch dort besteht eine unglaubliche Dynamik, bei einigen Arten nimmt die Konkurrenzkraft ab, neue Arten breiten sich aus, andere verschieben sich. Wie das morgen aussehen wird? Damit beschäftigen wir uns intensiv, aber genau können wir es nicht sagen.»
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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