«Umweltinteressen kommen immer zuletzt»
Pro Natura Magazin: Umweltthemen haben es meist schwer im Parlament.
Ursula Schneider Schüttel: Ja, und das ist die negative Bilanz dieser Legislatur: Der Druck auf die Natur ist, insbesondere im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien, sehr gross geworden.
Es braucht Gegensteuer?
Unbedingt. Wenn unsere warnenden Stimmen nicht wären, würde das Thema einfach zur Seite geschoben. Es ist ein stetiger Kampf. Immer noch. Aber so verhindern wir zumindest das Schlimmste.
Die Umweltallianz gibt Ihnen in ihrer Legislaturbilanz das Prädikat «100 % umweltfreundlich». Welche Note von 0 wie «naturfeindlich» und 10 wie «naturfreundlich» geben Sie dem Parlament?
Mmh. (Überlegt lange). Es ist ziemlich umweltunfreundlich. Wenn 0 am unfreundlichsten ist, gebe ich eine 3 oder 4. Eher eine 3. Umweltinteressen kommen immer zuletzt.
Sie haben die Energiepolitik erwähnt. Sie war in der letzten Legislatur sehr präsent – Stichworte «Solarexpress» und «Windexpress». Eigentlich ist es positiv, dass es mit den Erneuerbaren vorwärtsgeht.
Genau. Endlich haben wir den Turnaround gemacht weg von den Fossilen, weg vom CO2.
Aber?
Aber Anlagen in den hintersten Alpentälern zu fördern, das hat einen stark negativen Einfluss auf Natur und Landschaft. Es kann nicht sein, dass wir in Gondo oder in Grengiols riesige Anlagen hinstellen, ohne uns darum zu kümmern, wo wir sie schneller und besser bauen könnten. Nämlich dort, wo der Strom gebraucht wird.
- Christian Flierl
Sie sprechen von der bestehenden Infrastruktur?
Ja. Diese ist immens. Sie müssen nur mit dem Zug durchs Mittelland fahren, dann sehen Sie so viele Gebäude, auf die man ohne grosse Probleme Solaranlagen bauen könnte. Klar, dann kommt sofort das Argument, dass wir vor allem Winterstrom brauchen und das Mittelland liegt dann unterm Hochnebel. Aber warum stellt man die Anlage nicht zumindest in bereits verbaute touristische Gebiete? Nein, man baut sie nach dem Motto «Aus den Augen, aus dem Sinn» dorthin, wo man sie nicht sieht. Ich finde, wir müssen auch dazu stehen, dass unser hoher Stromkonsum einen Preis hat, und ihn sichtbar machen.
Das Umweltrating berechnet, wie umweltfreundlich Nationalrätinnen und Nationalräte abstimmen. Hier die Halbzeitbilanz der grössten Parteien der 51. Legislatur.
Welche Bilanz ziehen Sie zum «Runden Tisch Wasserkraft»?
Positiv ist, dass wir als wichtigste Naturschutzorganisation der Schweiz dabei waren; und dass bei den Energieversorgern eine Sensibilisierung stattfand. Und: Mit der Vereinbarung haben wir eine einigermassen vertretbare Lösung gefunden, die auch für die Natur gut ist, zum Beispiel mit den vorgesehenen Ausgleichsmassnahmen. Inklusive der Verpflichtung, die aufgelisteten Projekte unter ökologischen Aspekten noch einmal zu untersuchen. Es ist wichtig, dass wir ganz genau hinschauen, welche Eingriffe zulässig sind, um unseren – zu – hohen Energiekonsum aufrecht zu erhalten.
- Matthias Sorg
Auch in der Agrarpolitik haben Umweltthemen oft einen schweren Stand – was ist hier gut, was schlecht gelaufen?
Mir kommt zuerst das Negative in den Sinn. Das liegt wohl daran, dass wir uns damit immer wieder beschäftigen müssen. Es ist immer dasselbe: Erreichen wir etwas Kleines, kommt sofort die grosse Gegenwehr. Ein Beispiel: Kaum ist beschlossen, dass mindestens 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf Ackerflächen ausgewiesen werden müssen, meldet sich die Landwirtschaft, sie täten doch schon jetzt genug. Dieser Widerstand ist immer da.
Verzweifeln Sie angesichts dessen nicht manchmal?
Doch, schon. Aber dann führe ich mir vor Augen, dass es sehr viele Landwirtinnen und Landwirte gibt, die nicht so denken und es anders machen. Solche, die biologisch anbauen und sich Mühe geben im Umgang mit der Natur. Die politische Landwirtschaft ist nicht unbedingt identisch mit jener, die draussen auf dem Terrain steht.
Die von Pro Natura mitinitiierten Initiativen – die Landschafts- und die Biodiversitätsinitiative – stehen zum Ende der laufenden Legislatur auf der Politagenda. Warum sind sie so wichtig?
Bei der Biodiversität haben wir sehr grossen Handlungsbedarf. Um diese Krise haben wir uns zu wenig gekümmert und vielen ist immer noch nicht bewusst, wie dringlich sie ist. Sie realisieren nicht, dass die Biodiversität unsere Lebensgrundlage ist. Dank der Initiative haben wir die Chance, die Biodiversität mit einem spezifischen Gesetz – eben dem indirekten Gegenvorschlag – zu fördern.
Und die Landschaftsinitiative?
Die zweite Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes wird derzeit als indirekter Gegenvorschlag gehandelt. Das ist nicht schlecht, vor allem, wenn wir das Stabilisierungsziel aufrechterhalten können. Das Problem ist, dass es so viele Ausnahmebestimmungen gibt und immer mehr dazu kommen. Die Einsicht ist nicht da, dass man das Nichtbaugebiet so wenig wie möglich beanspruchen sollte.
- Claudio Büttler
Es gibt vieles zu tun in der Umweltpolitik. Was möchten Sie in der neuen Legislatur als Erstes anpacken?
Ich werde weiterfahren wie bisher. Die Natur steht für mich an erster Stelle.
Bettina Epper, Redaktionsleiterin Pro Natura Magazin.
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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