Gletschervorfeld Graubünden Raphael Weber
19.05.2023 Biodiversitätskrise

Ja zum Klimaschutzgesetz

Seit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens ist die Schweizer Klimapolitik kaum vom Fleck gekommen. Damit es im Klimaschutz nun endlich vorangeht: Sagen Sie am 18. Juni Ja zum Klimaschutzgesetz.

«Schützen, was uns wichtig ist», lautet der Slogan für ein Ja zum Klimaschutzgesetz. Es geht um unsere Gletscher, den letzten Rest unserer Natur, das – vermeintliche – Wasserschloss Schweiz und um kommende Generationen. Letztlich geht es beim Klimaschutz aber noch um wesentlich Grundsätzlicheres. Ein wenig pointiert müsste die Abstimmung darum unter dem Zeichen «Retten, was zu retten ist» stehen, denn es geht schliesslich darum zu schützen, was uns (über)leben lässt. Bedroht ist nämlich nicht nur das Klima, sondern jene natürlichen Prozesse, die Biodiversität und die Lebensräume, ­welche für die Bodenfruchtbarkeit oder den Wasserhaushalt von Bedeutung sind. 

Nur: Statt rasch und entschlossen zu handeln, haben wir es jahrelang sträflich verpasst, die Weichen rechtzeitig zu ­stellen. Noch 2021 ist das CO2-Gesetz an der Urne knapp gescheitert, obschon die Schweiz als Land der Hyperkonsumenten und der riesigen Investitionsvolumen ­besonders in der Verantwortung steht, ihren Teil zur Lösung dieses globalen ­Problems beizutragen. Jetzt bietet sich am 18. Juni die Chance, diesem verant­wortungslosen Treiben mindestens ­ansatzweise Einhalt zu gebieten und ­unseren Zusagen an die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens auch endlich ernsthaft anzugehen. 

Das Klimaschutzgesetz bietet die ­dringend notwendige Grundlage dafür, denn es:

• setzt klare Ziele (Netto-Null bis 2050). 

• definiert einen entsprechenden Absenkpfad.

• arbeitet nicht mit Verboten oder Steuererhöhungen, sondern mit Zielen, Investitionen und Innovationsförderung. 

• sieht Massnahmen vor, um die durch den Klimawandel bedingten nachteiligen Auswirkungen anzugehen.

• strebt an, die massiven Finanzmittelflüsse aus der Schweiz nachhaltiger auszugestalten.

Ein Ja zum Klimaschutzgesetz schafft das Fundament für besseren Klimaschutz, ­effizientere Energienutzung, weniger ­Abhängigkeit von ausländischen Öl- und Gasimporten. Die Schweiz kann in ­Sachen Innovationen und neue Technologien ­verlorenes Terrain aufholen und parallel zu der daraus erzeugten Wertschöpfung die eigene Energiesicherheit stärken. Alles anderes als ein Ja am 18. Juni wäre darum kurzsichtig, gefährlich und ein Schlag ins Gesicht kommender Generationen.  

MICHAEL CASANOVA ist bei Pro Natura zuständig für die Klima-, Energie- und Gewässerschutzpolitik.

Klimaschutzgesetz Urs Flüeler
Ja zum Klimaschutzgesetz
Ja zum Klimaschutzgesetz
Mit dem JA zum Klimaschutzgesetz am 18. Juni setzen wir Ziele für den Klimaschutz. Wir schützen, was uns wichtig ist. Und wir übernehmen Verantwortung für die kommenden Generationen.

 «Nicht nur die Städte, auch die Landschaft erhitzt sich stark»

Treffen wir keine Massnahmen für den Klimaschutz, droht auch dem Mittelland Ungemach: mehr Trockenheiten und Überschwemmungen. Der emeritierte Uniprofessor Rolf Weingartner erläutert, weshalb er sich für ein Ja zum Klimaschutzgesetz stark macht.

Pro Natura Magazin: Der Sommer 2022 war in der Schweiz generell sehr trocken, der Sommer im Jahr ­zuvor brachte Hochwasser und Überschwemmungen. Sind dies Auswirkungen des globalen Klimawandels? 
Rolf Weingartner: Ja, solche Ereignisse häufen sich durch den globalen Tempe­raturanstieg ganz klar. Entscheidende ­Prozesse des Wasserkreislaufs werden durch die Temperatur gesteuert. Steigt die globale Temperatur, so schmelzen die Gletscher, es fällt weniger Schnee und die Nullgradgrenze steigt. Diese Prozesse werden sich durch das Voranschreiten der Klimaerwärmung noch verstärken. 

Warum führt der globale Temperaturanstieg auch zu mehr Überschwemmungen? 
Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit ­aufnehmen, pro Grad Temperaturanstieg rund 7 Prozent mehr. Deshalb gibt
es auch stärkere Regenfälle. Fallen diese auf ausgetrocknete Böden, kann ein Teil des Wassers nicht versickern. Dies ­geschah zum Beispiel im Juli 2022 im ­Kemmeriboden im Emmental, wo es zu einem extremen Hochwasser kam. 

Überschwemmungen beim Landgasthof Kemmeriboden-Bad

Steigen die Temperaturen, kommt es auch zu mehr Überschwemmungen. Denn wenn viel Regen auf ausgetrocknete Böden fällt, kann ein Teil des Wassers nicht versickern. So geschehen im Juli 2022 beim Landgasthof Kemmeriboden-Bad.

Dass die Alpengletscher durch den Klimawandel sehr stark abschmelzen, ist allmählich im Bewusstsein der ­Bevölkerung angekommen. Welche Auswirkungen hat der globale Temperaturanstieg generell aufs Mittelland? 
Der Temperaturanstieg führt zu einer ­Erhöhung der Verdunstung. Zudem gibt es im Sommer weniger Niederschläge. Dies führt auch im Mittelland zu einer grösseren Trockenheit im Sommer. Gleichzeitig steigt der Wasserbedarf. Im Sommer, wenn die Landwirtschaft viel Wasser ­benötigt, bringen die grossen ­Alpenflüsse heute durch das Abschmelzen der Gletscher noch viel Wasser mit sich. Mit dem starken Rückgang der ­Gletscher werden die sommerlichen ­Abflüsse aus dem ­Alpenraum stark ­abnehmen, besonders ausgeprägt ab ­Mitte dieses Jahrhunderts. 

Wer leidet besonders unter dieser ­Trockenheit im Mittelland – die Landwirtschaft oder die Natur? 
Zunächst vor allem die Natur – die ­aquatischen Ökosysteme: Steigen die Temperaturen in Flüssen stark an, führt dies unter anderem auch zu einem ­Fischsterben. Die Landwirtschaft belastet die Gewässer durch Nährstoffe und ­Pestizide. Ist weniger Wasser vorhanden, verdünnen sich diese weniger stark. ­Zudem wurden im Mittelland in der ­Vergangenheit viele ­Bäche eingedolt; es gibt massiv weniger Feuchtgebiete und in landwirtschaftlich genutzten Flächen auch weniger Bäume. Diese verschiedenen Faktoren führen zu einer starken ­Erhitzung der Landschaft. Dies verursacht auch für die Landwirtschaft Probleme, da sie weniger Wasser zur Verfügung hat. 

Der Temperaturanstieg ist also nicht nur in den Städten, sondern generell im ganzen Mittelland ein Problem? 
Ja, das ist so. Der Erhitzung der Landschaft wird heute zu wenig Beachtung ­geschenkt. 

 

Sie unterstützen das Klimaschutz­gesetz, welches am 18. Juni zur ­Abstimmung kommt. Weshalb? 
Weil das Gesetz die entscheidenden ­Aspekte des Klimawandels im Fokus hat: Die Reduktion der Treibhausgase in der Schweiz, Anpassungsmassnahmen an den Klimawandel und Technologieförderung. Von grosser Bedeutung ist auch das im Gesetz formulierte Ziel, dass Massnahmen zur Verminderung der Klimawirkung von Finanzflüssen getroffen werden sollen. Deren Hebelwirkung ist riesig. So gibt es Berechnungen, dass die vom Schweizer Finanzplatz gesteuerten Aktivitäten ein Zwanzigfaches der einheimischen Treib­hausgas-Emissionen verursachen.

Val Frisal Raphael Weber

Wie sieht die Schweiz in 70 Jahren aus, wenn wir jetzt nichts tun und weltweit keine Massnahmen für den Klimaschutz ergriffen werden? Gibt es ein Worst-Case-Szenario? 
Wir haben in der Schweiz schon bisher ­einen Temperaturanstieg von 2 Grad. ­Werden keine Klimaschutzmassnahmen ergriffen, könnte die Temperatur in der Schweiz bis 2100 nochmals um 3 bis 5 Grad steigen. Dies würde riesige Probleme verursachen. Die Nullgradgrenze würde um bis zu 1000 Meter steigen. ­Unterhalb 2500 Meter gäbe es nur noch sehr wenig Schnee. Und die Gletscher würden fast komplett abschmelzen. Die sommerliche Austrocknung des Mittel­landes würde sich massiv ver­stärken. ­Hinzu kommt, dass gewisse Auswir­kungen nicht vorhersehbar sind, weil das ganze Klimasystem durch­einandergerät und Kipppunkte erreicht werden ­könnten. Die Ozeane haben ­bisher zum Beispiel eine dämpfende ­Wirkung auf die Temperaturen. Wenn diese wegfällt, ­steigen die Temperaturen noch weiter an. 

Die SVP nennt das Klimaschutzgesetz ein «Stromfressergesetz» und argumentiert, die kleine Schweiz könne nichts zum globalen Klimaschutz ­beitragen. Was sagen Sie dazu? 
Der Klimawandel ist ein globales Problem, nationales Denken bringt uns nicht weiter. Jede Person auf der Erde muss einen ­Beitrag zum Klimaschutz leisten, wobei zu erwähnen ist, dass rund 20 Prozent der Bevölkerung etwa 80 Prozent des Pro­blems verursachen. Die Bevölkerung hochentwickelter Länder ist besonders ­gefordert. 

STEFAN BOSS arbeitet als freischaffender Journalist.

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Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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