Die Wildkatze ist das Tier des Jahres 2020
Der lateinische Name der Wildkatze bedeutet «Waldkatze». Wilde Wälder mit vielfältigen Strukturen sind der ursprüngliche Lebensraum der Wildkatze. Hier jagt sie Mäuse und andere Kleintiere, verschläft manche Stunde im sicheren Versteck und bringt in einem trockenen Unterschlupf ihre Jungen zur Welt.
Mehr Wildnis wagen – dafür wirbt die Wildkatze 2020. Mehr freie Naturentwicklung täte der aufgeräumten Schweiz vielerorts gut. Es muss nicht immer gleich ein grossflächiges Wildnisgebiet sein. In jedem Waldstück, an jedem Bachlauf, am Feldrand und auf der Weide können wir der Natur Freiraum gewähren. Davon profitieren viele Tier- und Pflanzenarten, nicht nur die Wildkatze. Die Wildkatze wagt sich auch in die Kulturlandschaft vor, wenn sie dort genügend deckungsreiche «Unordnung» vorfindet. Allerdings: Passende Lebensräume helfen Beutegreifern wie der Wildkatze nur dann, wenn die Tiere vor direkter Verfolgung geschützt sind. Auch das zeigt die Geschichte der Wildkatze exemplarisch.
- Fabrice Cahez
Die Europäische Wildkatze teilte das Schicksal aller Beutegreifer in der Schweiz. Sie wurde erbarmungslos als vermeintlicher Schädling verfolgt. Philipp Schmidt stellt 1976 in seiner Geschichte der jagdbaren Tiere der Schweiz fest: «Im schweizerischen Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz von 1963 ist die Wildkatze sogar geschützt, aber es ist wohl wie mit dem Güllenloch, das erst zugedeckt wird, wenn schon einer hineingefallen ist.» (Philipp Schmidt, Das Wild der Schweiz, Bern 1976, Seite 341).
Glücklicherweise kam der Schutz für die Wildkatze gerade noch rechtzeitig. Heute beherbergt der Schweizer Jura grossflächig Wildkatzen. Es wird allerdings für immer offen bleiben, ob der «Tiger unserer Wälder» der Ausrottung in der Schweiz tatsächlich entgangen ist. Möglich ist auch, dass die Art aus Frankreich wieder eingewandert ist. In den 1960er und -70er Jahren erfolgten zudem mehrere Aussetzungen von Wildkatzen durch amtliche Stellen und Privatpersonen.
Ungewöhnliche Filmaufnahmen von Wildkatzen aus dem Naturschutzgebiet Fanel
Quelle: Schweiz aktuell vom 5.11.2017
Wie erkenne ich eine Wildkatze?
Nicht nur Wildkatzen sind in unseren Wäldern unterwegs. Rund 1.6 Millionen Hauskatzen leben in der Schweiz. Viele von ihnen geniessen freien Auslauf. Auch Tausende von verwilderten Katzen streifen durch Feld und Wald. Selbst bei einer Katzenbeobachtung im tiefsten Wald stellt sich deshalb oft die Frage: Wildkatze oder Hauskatze? Eine getigerte Hauskatze ist nicht immer leicht von einer Wildkatze zu unterscheiden. Endgültige Gewissheit gibt es nur durch genetische Analysen. Äusserlich sind folgende Merkmale typisch für eine Wildkatze:
- Körperbau massig wirkend durch das dichte, langhaarige Fell
- Fell seitlich «verwaschen» grau-bräunlich, oft mit weissen Flecken an Kehle, Brust und Bauch; immer mit dunklem Rückenstrich (sog. Aalstrich)
- Schwanz buschig, mit stumpfem schwarzem Ende, oft mit 2-3 deutlichen schwarzen Ringen
- Nasenspitze immer rosa
- Fabrice Cahez
Wildkatzen leben einzelgängerisch in Revieren. Diese Reviere markieren sie mit Urinspritzern, Kot, Kratzbäumen oder Duftmarkierungen. Die Reviergrössen schwanken je nach Landschaft und Nahrungsangebot. Sie liegen bei mehreren Quadratkilometern pro Tier. Die grösseren Reviere der Kater erstrecken sich über mehrere Weibchenreviere. Von Januar bis März schallt das wenig harmonische Paarungsgeschrei der Kater durch den Wildkatzenwald. Nachdem sich Kater und Katze zur Paarung – im wahrsten Sinn des Wortes – zusammengerauft haben, trennen sich ihre Wege wieder.
Nach gut zwei Monaten wirft die Katze ihre Jungen, meist 2-5. Bis zu drei Monate lang werden die Jungen gesäugt. Ab einem Alter von rund 5 Wochen kosten sie erste Fleischbrocken. Kommt der Winter, geht das Familienleben zu Ende. Die ausgewachsenen Jungkatzen suchen ihre eigenen Reviere. Schon im folgenden Jahr können die weiblichen Tiere selber Junge gebären – wenn sie noch leben. Auf junge Wildkatzen lauern viele Gefahren: Natürliche Feinde sind Luchs, Fuchs, Baummarder, Uhu oder Hermelin.
- Fabrice Cahez
Der feine Unterschied: Wildkatze und Hauskatze
Man könnte vermuten, dass unsere Hauskatze (Felis catus) von der Europäischen Wildkatze (felis silvestris) abstammt. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr gehen unsere Stubentiger genetisch auf die afrikanisch-asiatische Wildkatze, auch Falbkatze genannt, zurück (Felis lybica). Mit den Römern gelangten die Hauskatzen vor rund 2000 Jahren in unsere Breitengrade. Die Wissenschaft sieht diese drei «Katzentypen» heute als eigenständige Arten. Hauskatzen und Wildkatzen können sich allerdings paaren und fortpflanzungsfähige Junge gebären.
- Fabrice Cahez
Bis vor wenigen Jahren war es sehr schwierig, Wildkatzen wissenschaftlich zu erforschen. Den Durchbruch in der Wildkatzenforschung brachte ab 2006 die Lockstockmethode. Viele Katzen können dem Duft von Baldrian nicht widerstehen. Forschende platzieren deshalb im Wald Holzlatten, die mit Baldrian eingesprüht sind. Katzen reiben sich genüsslich daran. Sie hinterlassen dabei Haare am rauen Stock. Diese Haare enthüllen dank modernen Analysemethoden die genetischen Eigenschaften des Tieres.
2008-2010 analysierte die Hintermann & Weber AG mit der Lockstockmethode im Auftrag des Bundes erstmals die Verbreitung der Wildkatze im Jura. Damals waren erst rund 10% des Jurabogens von Wildkatzen bewohnt. Dieses Monitoring wird aktuell unter der Leitung des Vereins Wildtier Schweiz wiederholt. Anfangs 2021 ist mit neuen, spannenden Erkenntnissen zur Verbreitung der Schweizer Wildkatzen zu rechnen.
- Darius Weber
Wenn ausgerottete Tierarten wieder in ihre ursprünglichen Lebensräume zurückkehren, sind Überraschungen nicht selten. Das ist auch bei der Wildkatze so. Jüngste Forschungsergebnisse der Stiftung KORA zeigen zum Beispiel, dass sich die Wildkatze auch ausserhalb von grossen Waldgebieten offenbar behaupten kann. Vier sendermarkierte Tiere hielten sich im Sommer 2018 regelmässig in der intensiv genutzten Kulturlandschaft des Seelandes auf.
Unentbehrlich sind aber Vernetzungsstrukturen wie Hecken, Gehölze und Waldinseln. Ebenso wichtig sind Wildtierpassagen über oder unter verkehrsreichen Strassen. Viele Wildkatzen fallen sonst dem Strassenverkehr zum Opfer.
- Fabrice Cahez
Wichtig: Hauskatzen unter Kontrolle halten
Die grösste Gefahr für unsere Wildkatzen geht mittelfristig von der Vermischung (Hybridisierung) mit Hauskatzen aus. Katzenhaltenden kommt also eine grosse Verantwortung zu. Wer freilaufende Katzen hält, sollte diese kastrieren. So werden Kreuzungen mit Wildkatzen verhindert. Erfreulicherweise nehmen bereits sehr viele Katzenbesitzende diese Verantwortung wahr. Das laufende Wildkatzenmonitoring wird auch Daten dazu liefern, wie es um die Hybridisierung von Wild- und Hauskatze in der Schweiz aktuell steht.
Das tut Pro Natura für die Wildkatze
Viele Pro Natura Naturschutzgebiete im Jura können auch Wildkatzen als Teillebensraum dienen. In unseren Waldreservaten finden sie ruhige Rückzugsorte, auf artenreichen Wiesen und Weiden am Waldrand können Wildkatzen Mäuse erbeuten.
Mehr über die 700 Pro Natura Naturschutzgebiete erfahren
Wildkatzen brauchen vernetzte Lebensräume. Und sie müssen Verkehrsachsen einigermassen gefahrlos überqueren können. Mit der Kampagne «Freie Bahn für Wildtiere!» hat sich Pro Natura intensiv für sichere Wildtierkorridore eingesetzt.
Mehr über die Kampagne «Freie Bahn für Wildtiere!»
Niemand denkt heute noch daran, die Wildkatze auszurotten. Doch ihr grösserer Verwandter, der Luchs, ist im Visier der Politik. 2019 haben die eidgenössischen Räte ein völlig missratenes Jagdgesetz verabschiedet, das auch den Luchs bedroht. Dagegen haben Pro Natura und andere Verbände das Referendum ergriffen.