«Ich weigere mich, diesen Leuten meine Resignation zu schenken»
Im Rahmen der Transition Town Bewegung starten Umweltaktivistinnen und Umweltaktivisten seit über 15 Jahren Nachhaltigkeits-Initiativen und -Projekte in verschiedensten Gemeinden und Städten rund um die Welt. Sie treiben damit den Übergang zu einer postfossilen, re-lokalisierten Wirtschaft voran. Das Transition Netzwerk bietet uns allen, die aktiv sind oder es werden wollen, Hilfestellungen, wie wir vorgehen können, um auch unsere Stadt in eine Transition Town zu verwandeln. Heute ist die selbstorganisierte Bewegung mit über 1000 Gruppen weltweit vernetzt.
Die Transition Town Bewegung widerspiegelt Rob Hopkins gut. Er erzählt optimistisch, zielorientiert und vor allem begeisternd ansteckend. Lesen Sie selbst:
Kurzfristig aber können wir die Klimakrise als Chance sehen, ganz viele Dinge anzupacken, die in unserer Gesellschaft so offensichtlich kaputt und falsch sind. Dazu zähle ich auch die Idee, dass wir unser Wirtschaftssystem wieder viel mehr lokalisieren müssen. Der Nahrungsgürtel in Lüttich ist ein wunderbares Beispiel dafür. Natürlich werden wir in den nächsten Jahren noch keine sich selbstversorgenden Städte haben, aber jeder Schritt in diese Richtung schafft neue Möglichkeiten, neue Jobs und sichert den Lebensunterhalt von lokalen Einwohnerinnen und Einwohnern.
Lüttich schnallt sich einen Gürtel um
2012 kam im Rahmen des Transition-Netzwerks Lüttich (Belgien) die Idee zustande, einen Nahrungsgürtel rund um die Stadt zu bewirtschaften. Das Projekt wird nun von der Stadt gefördert und wurde bereits auf sechs weitere belgische Städte übertragen. Das Beispiel Lüttich war ein klassisches «Was wäre, wenn…?»-Projekt. «Was wäre, wenn sich die nächste Generation in Lüttich mehrheitlich lokal ernähren würde und den Grossteil der Lebensmittel aus Lüttich selber stammt?» Es war diese Frage, die so viele Leute inspiriert und begeistert und schliesslich das Projekt ins Rollen gebracht hat. «Kürzlich habe ich den Bürgermeister von Marseille getroffen. Auch er möchte rund um Marseille Land kaufen und ein neues Ernährungssystem aufbauen», erzählt Rob Hopkins.
«Systemwandel – nicht Klimawandel» ist ein beliebter Slogan bei Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Das Transition Netzwerk ermöglicht Veränderungen auf lokalem Niveau aber um die Klimakrise zu stoppen, braucht es globale Systemänderungen. Wie können wir die lokalen Initiativen in nationale und globale Strategien umwandeln?
Wir müssen uns immer wieder in Erinnerung rufen, wie mächtig Geschichten und Beispiele sind. Alles, was wir verändern müssen, existiert bereits irgendwo. Wenn wir uns überlegen, was sich bei einer Stadt verändern soll, so bräuchten wir zum Beispiel:
- das Fahrradnetzwerk von Rotterdam
- die lokale Demokratie von Barcelona
- das neue Ernährungssystem von Lüttich
- die autofreie Nachbarschaft von Freiburg
- die 15-Minuten Quartiere von Paris
All das existiert bereits, wir müssen nun nur alles zusammenbringen und in allen Städten umsetzen.
Was ich den lokalen Transition-Gruppen immer sage, ist: «Ihr könnt euch heute nicht vorstellen, wer alles euer Projekt sehen wird. Wer davon betroffen sein wird. Was die Leute damit anfangen werden und wen ihr inspiriert.» So viele Gruppen waren nur wenige Jahre nach Umsetzungsstart erstaunt, was sie alles mit ihren anfänglich kleinen Projekten erreicht haben.
Natürlich muss der Staat stärker werden und weniger unter der Kontrolle von Öl- und Gaskonzernen, von Finanzinstitutionen und Lobbyisten, von der Pharma- und der Agrochemieindustrie agieren. Natürlich müssen Unternehmen viel innovativer und proaktiver werden und die Wirtschaft mitumkrempeln anstatt sich verkrampft an die festgefahrenen Mustern zu klammern. Aber ich bin der Überzeugung, dass kleine Gemeinschaften mit ihren Projekten und ihrem Tatendrang einen sehr wichtigen Teil des Puzzles sind.
Wie bleibst du optimistisch, wenn doch alle Prognosen zur Klimakrise immer schlimmer werden?
Wir wissen, wer und welche 100 Konzerne für den Grossteil unserer CO2-Emissionen verantwortlich sind. Die Klimakrise ist ein Kampf zwischen den Reichen und den Armen, dem globalen Norden und dem globalen Süden, den Kolonialisten und ihren ehemaligen Kolonien. Ich weigere mich, diesen Leuten meine Resignation und Mutlosigkeit zu schenken.
Peter Kalmus, ein bekannter Klimawissenschaftler sagte einst: «Was mir Hoffnung gibt, ist der Fakt, dass wir es noch fast gar nicht probiert haben.» Das finde ich stark. Wir haben noch gar nicht angefangen, unsere Lösungen im grossen Stil anzuwenden. Aber wir wissen genau, was alles nicht funktioniert. Wir stoppen nur nicht, weil Kapitalinteressen daran hängen. Niemand kann sagen: Unsere Lösungen funktionieren nicht, denn wir haben sie noch gar nicht probiert.
Ich habe ja den Ruf, optimistisch zu sein. Aber wenn wir immer nur optimistisch wären, wäre es bedenklich. Wie Paul Hawken einst sagte: «Wenn du Klimawissenschaften studiert hast und nicht ein Pessimist bist, hast du die Bücher nicht richtig gelesen. Aber wenn du Zeit in den aktivistischen Bewegungen, die rund um die Welt gegen die Klimakrise kämpfen, verbracht hast und dann keinen Optimismus verspürst, dann hast du kein Herz». Das sehe ich auch so.
Wenn du von all den Neuigkeiten pessimistisch bist, kannst du dich schnell gelähmt fühlen, und das ist ein schreckliches Gefühl. Aber es gibt auch so viele positive Projekte und Beispiele. Es passiert so viel, über das nie berichtet wird. Und deshalb ist es wichtig, dass wir unseren Medienkonsum bewusster steuern. Prüfe, wie du deinen Social Media Feed eingestellt hast. Füge Kanäle hinzu, die positive Geschichten teilen und verbreiten. Diese positiven Neuigkeiten sind äusserst wichtig für unsere mentale Gesundheit.
Positive Neuigkeiten finden Sie zum Beispiel hier:
Transition Netzwerk auf Facebook
Pro Natura auf Instagram und Facebook
Dokumentarfilm «Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen»
Positive News Magazine auf Instagram (in Englisch)
Das Interview führte Bertrand Sansonnens, Koordinator für internationale Kooperationen bei Pro Natura.
Transition STREETS – Das Beispiel, das uns inspiriert, weniger zu wollen
Vor 10 Jahren hat eine kleine Gruppe mit Rob Hopkins die Idee der Transition STREETS entwickelt. Die Frage war, wie können Haushalte dabei unterstützt werden, weniger Energie und weniger Wasser zu verwenden, nachhaltiger zu leben und zu reisen?
Die Idee von Transition STREETS ist, dass sich lokale Gruppen innerhalb einer Strasse bilden: 6-10 Nachbarn treffen sich sieben Mal, jeweils bei jemand anderem zuhause. Für diese Treffen wurde ein Arbeitsbuch erstellt, das sich die Gruppe Thema für Thema anschauen kann. In der ersten Woche schauen Sie zum Beispiel das Thema «Energie» an und helfen sich gegenseitig bei Alltagsfragen: Wo befindet sich der Stromzähler? Wie liest man ihn? Wie können sie Energiesparen? Weil alle in der gleichen Strasse wohnen, haben sie möglicherweise ähnliche Häuser, ähnliche Probleme und aber auch ähnliche Lösungen. Beim nächsten Treffen kann sich die Gruppe das Thema «Wasser» anschauen, danach «Ernährung», «Verkehr», etc.
Im Pilotprojekt 2013 haben in Totnes, einer Kleinstadt im Süden von England mit 9000 Einwohnern 550 Haushalte teilgenommen und ihren CO2-Fussabdruck durchschnittlich um 1.3 Tonnen reduziert und damit ca. 700 Euro pro Jahr gespart. Das Konzept wurde für weitere Länder, wie die USA, Australien und Belgien adaptiert. Doch das eigentliche Highlight für Rob Hopkins waren die Resultate, die bei einer Umfrage durch eine Partnerschaft mit einer Universität herauskamen: «Auf die Frage, was das Projekt den Leuten gebracht hat, hat niemand gesagt, dass sie damit CO2 oder Geld gespart haben. Alle freuten sich darüber, dass sie ihre Nachbarn besser kennen und dass sie sich mehr als Teil der Gemeinschaft fühlen würden. Die Gruppen haben ihren Ressourcenverbrauch reduziert, ohne es gross zu merken und gleichzeitig das Gemeinschaftsgefühl gestärkt. Und das, das ist wirklich sehr wertvoll für mich.»
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