«Energiewende und Biodiversitätsschutz ergänzen sich bestens»
Pro Natura Magazin: Sie sprechen sich dezidiert gegen Solarparks in den Alpen aus. Zum Schutz der Biodiversität?
Arnaud Zufferey: Indirekt ja. Vor allem aber finde ich die Idee absurd, die letzten unberührten Flächen zu zerstören, solange die vorhandene Bausubstanz noch andere Optionen hergibt, zum Beispiel bei Luftseilbahnen, privaten Balkonen, Staumauern oder Gebäudedächern in der Stadt. Die Projekte mit alpinen Solarparks sind die Auswüchse dessen, was ich schon seit über 15 Jahren kritisiere: dass wir das Pferd am Schwanz aufzäumen. Man möchte die Energiekrise über mehr Angebot lösen, nicht über weniger Nachfrage.
Ist die Produktion von Energie denn besonders stark für die Zerstörung der Natur, und damit der Biodiversität, verantwortlich?
Man kann die Energiebranche sicher nicht als Totengräberin der Biodiver sität bezeichnen, aber sie hat ihren Anteil. Gleichzeitig darf man die Landwirtschaft, die Mobilität, das Bauwesen, den Tourismus usw. nicht ausblenden, die alle unsere Ressourcen wie Böden und Landschaft übernutzen. Leider erhalten wir keine Push-Meldung auf unserem Smartphone, die uns mitteilt, wenn wieder etwas schiefläuft und das nächste Stück Biodiversität verloren gegangen ist.
Dann hat die Biodiversitätsinitiative trotz ihrer eher allgemeinen Stossrichtung ihre Berechtigung?
Absolut. Ich erachte die Tatsache, dass die Ziele allgemein formuliert sind, sogar als Stärke. Damit kann man dem Vorwand «Gute Idee, aber falscher Ansatz» gleich den Wind aus den Segeln nehmen. Für mich geht es bei der Biodiversitätsabstimmung um etwas Grundsätzliches: Dass wir in der Pflicht stehen, unseren Ressourcen und unseren Lebensgrundlagen Sorge zu tragen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man da dagegen sein kann.
Äussert sich mit dem Argument Biodiversitätsschutz überhaupt noch jemand beispielsweise gegen Windkraftanlagen?
Die Zeiten, als man gegen beides sein konnte, sind vorbei. Wenn man die Probleme in der richtigen Reihenfolge angehen würde – erstens Energie sparen, zweitens Energie effizienter nutzen, drittens erneuerbare Energien fördern – bräuchte man keine Landschaften zu verschandeln. Und man würde auch nicht mehr darüber diskutieren, ob es möglich ist, einen Windpark in einem Flachmoor zu errichten oder ob Solarparks in den Alpen annehmbar wären. Wenn man die Prioritäten richtig setzt, geht alles – und das erst noch gut.
Die Annahme der Initiative würde der Energiewende also nicht im Wege stehen?
Ganz und gar nicht – Energiewende und Biodiversitätsschutz ergänzen sich bestens. Ich verweise gerne darauf, wie viele Windkraftanlagen wir allein durch weniger Stromverbrauch einsparen könnten: In der Schweiz beträgt das Einsparpotenzial bei öffentlichen Beleuchtungsanlagen, die zwischen 1 und 5 Uhr morgens laufen, ca. 144 GWh, das entspricht 29 grossen Windrädern. Wenn wir die Energiewende überlegt angehen, können wir die Auswirkungen auf die Biodiversität begrenzen.
Florence Kupferschmid-Enderlin, Redaktorin französischsprachige Ausgabe Pro Natura Magazin.
Arnaud Zufferey ist Umweltingenieur der ETH Lausanne und selbständiger Energieberater. Er ist seit über 17 Jahren im Energiebereich tätig. Von 2009 bis 2012 war er Gemeinderat in Siers (VS) und von 2012 bis 2018 Professor an der Fachhochschule Wallis. Er hält in der Romandie regelmässig Vorträge zu Themen wie Energie und Lichtverschmutzung. Zufferey ist zudem Gründer der Plattform www.energuide.ch über die Energiewende.
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Info
Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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