Traurige Beweise des Biodiversitätsverlusts
Der Grosse Brachvogel (Numenius arquata)
Verantwortlich dafür ist ein noch grösserer Feind: Homo sapiens. Wir Menschen haben durch die grossflächige Trockenlegung von Feuchtgebieten dem Brachvogel die Lebensräume zerstört. Vor den grossen Entwässerungen im 19. Jahrhundert gehörte der Brachvogel noch zu den prägenden Vogelarten des Mittellands. Bereits in den 1960er Jahren wurden aber lediglich noch 40 Brutpaare gezählt, seit 2006 gibt es in der Schweiz keinen Brutnachweis mehr. Mit Glück kann der imposante Vogel nun nur noch als Wintergast oder Durchzügler während des Vogelzugs beobachtet werden.
Der Raubwürger (Lanius excubitor)
Die grösste europäische Würgerart war einst in unserem Land weit verbreitet, seit 1986 ist er nun aber als Brutvogel verschwunden. Ihm fehlen Lebensräume, wie sie in der heutigen Landwirtschaft selten geworden sind: grossflächige, extensiv genutzte Wiesen, die mit vielen Strukturen wie Obstbäumen und Hecken versehen sind. Durch sein Verschwinden wurde der Raubwürger zum traurigen Exempel der ökologischen Verarmung unserer Kulturlandschaften.
Das Rebhuhn (Perdix perdix)
Ursache auch hier: die Mechanisierung und Industrialisierung unserer Landwirtschaft. Die Vögel fanden einst perfekte Lebensräume in offenen und strukturreichen Ackerbaugebieten, an die sie auch mit ihrem Tarnkleid perfekt angepasst waren. Den alarmierenden Bestandesrückgängen versuchte die Vogelwarte Gegensteuer zu geben und wertete im Rahmen von Artenförderungsprojekten im Klettgau (SH) und der «Champagne Genevoise» Lebensräume auf und siedelte importierte Rebhühner an. Vergebens: 2018 erfolgte die letzte Beobachtung eines Brutpaars.
Das Graue Langohr (Plecotus austriacus)
Aus dem Mittelland hat sich das Graue Langohr (Plecotus austriacus) längst verabschiedet, heute findet sich die Fledermaus nur noch entlang des Jurabogens – und auch das nur sehr sporadisch, denn sie ist vom Aussterben bedroht. Dem Grauen Langohr fehlt es an insektenreichen und pestizidfreien Jagdlebensräumen, es fehlt ihm an Sommerquartieren in Dachstöcken sowie Winterquartieren in Kellern oder Mauerspalten, es fehlt ihm an geeigneten und unverbauten Flugkorridoren ohne Lichtverschmutzung. Kurzum: Der Fledermaus fehlt es an biodiversen Lebensräumen!
Der Lachs (Salmo salar)
Bisher haben dies nur ganz wenige Einzelexemplare geschafft, und dies genügt bei Weitem nicht, um eine sich selbst erhaltende Lachspopulation zu etablieren. Vor gut hundert Jahren lebten noch Millionen von Lachsen im Rhein. Danach wurde der Fluss immer stärker verbaut, durch Flusskraftwerke zerstückelt, während sich die Wasserqualität nur noch verschlechterte und das Todesurteil der Rheinlachse besiegelte. Heute ist die Wasserqualität besser, und viele Kraftwerke sind durchgängiger für Fische geworden. Doch die grossen und bisher vergeblichen Anstrengungen zur Rückkehr der Lachse zeigen: Es lässt sich leichter zerstören als wiederherstellen. Und bei der Biodiversität besteht noch besonders grosser Wiederherstellungsbedarf.
Der Rhone-Streber (Zingel asper)
Der Region dient er immer noch als touristisches Werbeobjekt, doch vielleicht schwimmt im Doubs gar kein Roi du Doubs mehr. Die Bestände des Apron oder Rhone-Strebers (Zingel asper), wie der Fisch auch genannt wird, sind seit Jahrzehnten stark rückläufig.
Dieses Weibchen lebt nun in einem Becken des Aquatis Lausanne und wartet darauf, dass hoffentlich auch noch ein Männchen gefunden und eine Fortpflanzung möglich wird. Für den schlimmsten Fall hat es in Lausanne und dem Zoo Basel auch noch Aprons, die einem Zuchtprogramm mit Fischen aus den letzten kleinen (und genetisch unterschiedlichen) Schwesterpopulationen im französischen Rhone-Becken entstammen. Doch selbst wenn diese Fische eines Tages wieder ausgesetzt würden, träfen sie auf die immer noch gleichen Probleme: Zerstückelung des Flusses durch unüberwindbare Wehre, grosse Pegelschwankungen durch die Wasserkraft, teils stark belastete Wasserqualität und immer wärmere Wassertemperaturen.
Der Fischotter (Lutra lutra)
Zuletzt noch ein Hoffnungsschimmer: Unter den Hunderten von Tierarten, die sich auf unseren Roten Listen befinden, zeigt bei ganz wenigen die Tendenz nach oben – so etwa beim Fischotter (Lutra lutra). Als Folge von Jagd, schlechter Wasserqualität und zerstörten Lebensräumen galt das Säugetier in der Schweiz als ausgerottet. Weil sich seine Bestände in unseren Nachbarländern erholt haben, sind nun einzelne Exemplare wieder an Rhone, Inn, Rhein und Ticino gesichtet worden. Zudem haben zwei Exemplare, die dem Berner Tierpark Dählhölzli entwichen sind, an der Aare für Nachwuchs gesorgt. Mit diesem kleinen Bestand bleibt der Fischotter in der Schweiz vom Aussterben bedroht, doch die Anzeichen stehen gut, dass er in unsere Gewässer zurückkehrt. Dies ist möglich, weil sich die Wasserqualität verbessert hat, Ufer renaturiert und Hindernisse beseitigt wurden – ein wunderbares Beispiel, dass Fördermassnahmen für die Biodiversität rasch konkrete Folgen zeigen.
Von RAPHAEL WEBER, Chefredaktor Pro Natura Magazin
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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