Wolf und Jungwolf im Wald istockphoto/Saipg
22.04.2025 Wolf, Luchs, Bär

30 Jahre Wolf in der Schweiz: Koexistenz akzeptieren

Seit 30 Jahren ist der Wolf zurück in der Schweiz. Seit 13 Jahren kommen in Wolfshöhlen hierzulande jeden Frühling neue Welpen zur Welt. Doch der Wolf ist noch kein Tier wie jedes andere. Pro Natura sieht trotzdem gute Chancen für ein tragfähiges Nebeneinander von Wolf und Mensch.

2012 gab es am Churer Hausberg Calanda nach über 150 Jahren erstmals wieder Wolfsnachwuchs in der Schweiz. In der «wolfslosen» Zeit hatte sich die Schweiz von einem Agrarland in eine Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft verwandelt. Die übernutzten Wälder und Alpen haben sich mittlerweile erholt. Ganz oder fast ausgerottete Arten wie Hirsch, Reh, Gämse und Steinbock sind zurückgekehrt und weisen hohe Bestände auf. Ihnen folgte der Wolf, auf natürlichem Weg aus Italien und Frankreich kommend. Heute sucht sich eine wachsende Anzahl von Wolfsfamilien jeden Frühling Erdhöhlen, in denen die trächtigen Muttertiere eine neue Wolfsgeneration zur Welt bringen. Doch das Leben als Wolf in der Schweiz ist gefährlich: Im Winter 2024/25 wurde rund jeder dritte Wolf in der Schweiz geschossen. Auch die natürliche Sterblichkeit, Strassenunfälle und Wilderei fordern ihren Tribut.

Massnahmen sind bekannt und bewährt

Seit dem ersten Wolfsnachweis 1995 konnte sich auf dem Gebiet der Schweiz eine Population von rund 300 Wölfen oder 36 Rudeln etablieren (inklusive grenzüberschreitender Tiere). Parallel dazu verbesserte sich der Schutz der Nutztiere durch Hirt:innen, Zäune und Herdenschutzhunde massiv. Die notwendigen Massnahmen für ein konfliktarmes Nebeneinander sind hinlänglich bekannt; ebenso die Tatsache, dass es kein einfaches Patentrezept gibt. Ein möglichst flächiger, von der öffentlichen Hand weitgehend finanzierter Herdenschutz bleibt das A und O. Gezielte, auch proaktive Eingriffe in den Wolfsbestand und umgehende Abschüsse von problematischen Einzelwölfen sind breit akzeptiert. Warum vergeht trotzdem kaum eine Parlamentssession ohne hitzige Wolfsdebatte, kein Sommer ohne emotional verhandelte Nutztierrisse, kein Winter ohne umstrittene Abschüsse? 

Der Wolf als Projektionsfläche

Die politische und mediale «Wolfsdebatte» verhandelt oft nicht den Wolf an sich, sondern tieferliegende Konflikte wie den Stadt-Land-Graben, die Bedeutung der Berglandwirtschaft in einer globalisierten, urbanen Gesellschaft, verschiedene Auffassungen von Natur, den Umgang mit Restrisiken oder das (Macht-)Verhältnis von Bund und Kantonen. Als Wildtier, das zwischen Kultur- und Naturlandschaften wandert, fordert der Wolf in der reichen, durchorganisierten und sicheren Schweiz das menschliche Kontrollbedürfnis heraus. Wie ein Scheinwerfer wirft er ein grelles Licht auf unser Widerstreben, natürliche Dynamik zuzulassen, Kulturland der Natur zurückzugeben oder uns mit unserer eigenen Grenzenlosigkeit bei der Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu konfrontieren. Auf individueller Ebene kommen Ängste hinzu, die nicht mittels naturwissenschaftlicher Argumente abgehandelt werden können. 

Neue Normalität erlernen

Auch für Pro Natura ist der Umgang mit dem Wolf – bei aller Freude über die natürliche Rückkehr des einheimischen Wildtieres – ein Lernprozess. Die politische Zustimmung zum regelmässigen «proaktiven» Abschuss zahlreicher Jungwölfe fällt nicht leicht. Auch die Erkenntnis, dass Ängste nicht mit wissenschaftlichen Argumenten aus der Welt zu schaffen sind, muss in Naturschutzkreisen noch wachsen. Im Gegenzug fordert Pro Natura eine neue Normalität ein: Diese muss wirksamen Herdenschutz, sachliche Berichterstattung, notwendige und legitime Wolfsabschüsse, Aufklärung der Bevölkerung und richtiges Verhalten bei Wolfsbegegnungen umfassen. Pro Natura verlangt zudem, dass «unauffällige» Wolfsrudel in Ruhe gelassen werden. Der ökologische Beitrag des Wolfs an gesunde Wildhuftierbestände und (Schutz-)Wälder muss wertgeschätzt werden. Für diese neue Normalität setzt sich Pro Natura mittels Sensibilisierung, finanzieller Unterstützung von Nutztierhaltenden und freiwilliger Herdenschutzprojekte sowie politisch und rechtlich ein. Auf dass der Wolf weniger als Projektionsfläche und mehr als selbstverständlicher Teil unserer Natur gesehen werde.

Weitere Informationen:

Kontakt:

  • Sara Wehrli, Verantwortliche Grosse Beutegreifer und Jagdpolitik, Tel. 061 317 92 08, @email 
  • Nathalie Rutz, Medienverantwortliche, Tel. 061 317 92 24 und 079 826 69 47, @email