Auengebiet Schwarzwasser Matthias Sorg
07.03.2025 Biodiversitätskrise

Der Umweltminister, der nicht immer für die Umwelt einsteht

Seit gut zwei Jahren amtet Albert Rösti als Bundesrat, auch als Umweltminister. Zeit für eine Zwischenbilanz, die in Sachen Natur- und Umweltschutz mässig positiv ausfällt.

Der ehemalige Präsident von Swissoil und Auto Schweiz an der Spitze des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek)? Der Aufstieg von SVP-Politiker Albert Rösti zum Vorsteher des Uvek Anfang 2023 weckte in Natur- und Klimaschutzkreisen grosse Befürchtungen. Aus Angst, dass die Öl- und Autolobby dadurch einen direkten Draht in die Landesregierung erhält, haben die Grünen Schweiz sogar die Onlineplattform «Detec Watch» ins Leben gerufen, um die Arbeit des neuen Bundesrats zu überwachen.

Welche Bilanz lässt sich nach mehr als zwei Jahren unter dem Regime von Albert Rösti ziehen? Ende 2024 zeigte eine Sotomo-Umfrage, dass die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger den Berner für den einflussreichsten und sympathischsten Kopf im Siebnergremium halten: «Es stimmt, dass er sehr präsent und zugänglich ist und auch ein Talent für persönliche Kontakte hat», meint Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte- Frauen Schweiz. Sie hat sich für die Biodiversitätsinitiative engagiert und ist der Ansicht, dass man Bundesrat Rösti noch etwas Zeit lassen sollte, bevor man über ihn urteilt.

Allerdings kommt man nicht umhin, festzustellen, dass sich Albert Rösti seit seinem Amtsantritt als Bundesrat kaum für die verschiedenen Umweltbelange eingesetzt hat. Das bringen auch die für diesen Artikel befragten Gesprächspartnerinnen und - partner zum Ausdruck, wobei einige kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es um die Beurteilung der Arbeit dieses Bundesrats geht.

«Er verkauft lieber Träume»

Ende 2023 erliess Albert Rösti eine neue Jagdverordnung, die es erlaubt, einzelne Wölfe und ganze Rudel präventiv abzuschiessen, bevor sie einen Schaden an den Herden angerichtet haben. Obwohl die Umweltorganisationen den Prozess bremsen konnten, indem sie von ihrem Beschwerderecht und dessen aufschiebender Wirkung Gebrauch machten, wurden zwischen Dezember 2023 und Januar 2024 etwa 50 Wölfe getötet und mindestens zwei ganze Rudel ausgelöscht.

«Das Traurigste an der Geschichte ist, dass diese Lösung allein nicht hilft, den Druck auf die Herden zu verringern», sagt Isabelle Germanier, die Westschweizer Geschäftsführerin der Gruppe Wolf Schweiz. «Albert Rösti wüsste das, wenn er nur eine einzige Studie zu diesem Thema gelesen hätte. Aber er hört nicht auf die Wissenschaft, sondern verkauft den Nutztierhaltern lieber Träume und erzählt ihnen, was sie hören wollen. Auf Initiative von Bundesrat Rösti wurden Dutzende von Wölfen erlegt. Er setzt sich sogar über die Entscheidungen seines eigenen Departements hinweg: Wenn die Biologen des Bundesamts für Umwelt (Bafu) auf der Grundlage wissenschaftlicher Fakten eine Abschussgenehmigung verweigern, interveniert er persönlich, um die Sache umzukehren.» Tatsächlich kam es laut einem Bericht des «Tages-Anzeigers» von Oktober 2024 zwischen Albert Rösti, dem Walliser Staatsrat Frédéric Favre und der Bafu-Direktorin Katrin Schneeberger zu einem informellen Treffen, in dessen Folge das Amt die Zahl der im Kanton Wallis zum Abschuss freigegebenen Wolfsrudel nach oben korrigierte.

Isabelle Germanier kritisiert dieses Vorgehen und ruft in Erinnerung, dass Albert Rösti den Tierhalterinnen und -haltern zwar eine Freude macht, wenn er die proaktive Regulierung des Wolfs erlaubt. Gleichzeitig «sägt er aber am Ast, auf dem sie sitzen, wenn er aus dem nationalen Programm für Herdenschutzhunde aussteigt – ein Programm, das bei vielen anderen Ländern auf Bewunderung stösst. Wenn es einen Bereich gibt, in dem man proaktiv sein sollte, dann ist es der Herdenschutz!»

Isabelle Germanier wirft dem Bundesrat auch vor, gegen den Willen des Volkes zu handeln. «Mit der Ablehnung des revidierten Jagdgesetzes im Jahr 2020 hat sich das Schweizer Volk gegen die präventive Regulierung ausgesprochen. Und drei, vier Jahre später kommt die Frage durch die Hintertür wieder auf den Tisch.»

Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte-Frauen, erinnert daran, dass die Wolfspopulation seit der Ablehnung des Bundesgesetzes über die Jagd zugenommen hat: «Wenn der Wolf bleiben soll, ist es trotzdem notwendig, seine Bestände zu regulieren. Herr Rösti hatte gute Gründe zu handeln, aber die Umsetzung muss anschliessend auf kantonaler Ebene gut verhandelt werden.»

«Er setzt sich über Erkenntnisse hinweg»

Im letzten September erlitten die Umweltorganisationen mit dem Scheitern der Abstimmung über die Biodiversitätsinitiative einen herben Rückschlag. «Die Desinformationskampagne von Albert Rösti hat zur Ablehnung der Vorlage beigetragen», sagt Raphaël Arlettaz, Professor für Naturschutzbiologie an der Universität Bern. «Ähnlich wie die populistischen Bewegungen, die auf der ganzen Welt am Erstarken sind, setzt sich Herr Rösti über wissenschaftliche Erkenntnisse hinweg, besonders wenn sie seinen politischen Interessen entgegenstehen.»

Dazu ein Beispiel: Albert Rösti erklärte einmal nach seiner Rückkehr aus dem Berner Oberland, er habe keine negative Entwicklung bei den Schmetterlingsbeständen festgestellt. «Wenn ein Minister auf höchster Ebene ein kleines persönliches Erlebnis heranzieht, um seine These zu belegen, trägt er zur Zerstörung eines ganzen, sorgfältig aufgebauten Wissenssystems bei.»

Plakat der Biodiversitätsinitiative Biodiversitätsinitiative

 

Der Biologe verweist in diesem Zusammenhang auf das sogenannte Brandolini-Gesetz, wonach es viel mehr Zeit und Energie kostet, einen Blödsinn zu widerlegen, als ihn zu verkünden. «Man sollte von Herrn Rösti als Umweltminister erwarten können, dass er uns die objektiven Fakten präsentiert und klarmacht, dass es sich bei der Biodiversitätskrise um eine ernste Angelegenheit handelt, in der Schweiz und auch anderswo. Tatsächlich hat er das Problem aber immer wieder heruntergespielt, so wie er zuvor schon die Klimakrise verharmlost hat – und immer noch verharmlost.»

Raphaël Arlettaz weist zudem auf die Unzufriedenheit hin, die er seit Albert Röstis Wahl zum Bundesrat innerhalb des Bafu wahrnehme. «Nahezu alles, was in den letzten Jahrzehnten unermüdlich aufgebaut wurde, um unsere Umwelt zu erhalten, wird nun abgebaut, insbesondere im Bereich Artenschutz.» Arlettaz bedauert, dass die Schweiz, die in Sachen Umweltschutz lange als Vorreiterin galt, nun aber international ins Hintertreffen gerät, insbesondere im Bereich Biodiversität.

«Natürlich ist Herr Rösti nicht allein dafür verantwortlich: Es liegt auch an der Politik des Parlaments, das in erster Linie wirtschaftliche Interessen verfolgt. Fakt ist, dass wir uns im Rückwärtsgang befinden.»

Und daran dürfte auch der im November 2024 vom Bundesrat verabschiedete neue Aktionsplan Biodiversität nichts ändern. «Er geht nicht weit genug», meint Christina Bachmann-Roth. «Während der Kampagne zur Biodiversitätsinitiative wies Albert Rösti wiederholt auf den zukünftigen Aktionsplan hin, um das Nein zu rechtfertigen. Doch für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen braucht es eindeutig mehr Massnahmen. Vielleicht muss man Herrn Rösti aber noch etwas Zeit zum Handeln lassen.»

«… konnte die Mehrheit nicht überzeugen»

Das von Albert Rösti unterstützte Projekt zum Ausbau der Autobahnen: abgelehnt! Für Nationalrätin Brenda Tuosto (SP/VD) ist das Abstimmungsergebnis vom 24. November 2024 bezeichnend: «Es offenbart eine deutliche Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen der Bevölkerung und der vom Bundesrat vertretenen Lösung. Vor dem Hintergrund der Budgetkürzungen spielte zwar auch das finanzielle Argument eine Rolle – immerhin verlangte man vom Volk die Freigabe von fünf Milliarden Franken –, doch die Pendlerinnen und Pendler haben erkannt, dass der Vorschlag von Herrn Rösti ihren Alltag nicht verbessert.» Auch Christina Bachmann-Roth meint, dass der Bundesrat die Frauen zu wenig in seine Kommunikation während der Kampagne und bei der Ausarbeitung des Entwurfs einbezogen habe und «eine Lösung vorgeschlagen hat, die die Mehrheit nicht überzeugen konnte».

Brenda Tuosto, im Gemeinderat von Yverdon-les-Bains unter anderem für Mobilität zuständig, befürwortet den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, namentlich der Bahninfrastruktur. Doch im September 2024 kündigte der Bundesrat im Rahmen seines Entlastungspakets für den Bundeshaushalt überraschend an, die Finanzierung der Nachtzüge einzufrieren. «Diese Subventionierung ist aber im neuen CO2-Gesetz, das im Juni 2023 angenommen wurde, festgeschrieben», empört sich die Nationalrätin aus Yverdon. Sie hat deshalb bei den Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments eine Beschwerde gegen den Beschluss mit eingereicht. «Wir dürfen nicht vergessen, dass die Nachtzüge eine umweltfreundliche Alternative zum Flugverkehr sind.» Inzwischen tragen eine Petition der Grünen und ein offener Brief der Organisation Umverkehr zumindest teilweise Früchte: Der Bundesrat hat die Sperrung von zehn Millionen Franken für die Förderung der geplanten Nachtzuglinien nach Rom und Barcelona aufgehoben. Allerdings bildet die Subventionierung dieses Transportmodells noch immer Teil des Sparpakets, weshalb die Finanzierung ab 2027 ungewiss ist.

Brenda Tuosto räumt ein, dass Albert Rösti offenbar ein Bewusstsein dafür hat, wie wichtig es ist, den Schienenverkehr auszubauen, insbesondere in der Westschweiz, dem Stiefkind des neuen SBB-Fahrplans. «Aber dieses Bewusstsein muss auch in konkrete Massnahmen münden.»

«Es gibt eine Art Blindheit»

«Albert Rösti kümmert sich weit weniger um die Beschleunigung der Energiewende als um die Wolfsfrage», ärgert sich Nationalrat Christophe Clivaz (Grüne/VS). Als Beispiel nennt er das Fehlen eines Fahrplans in Sachen Energiesparmassnahmen, obwohl hier laut Behördenberichten beträchtliches Potenzial besteht. Ein weiteres Beispiel ist die Verzögerung in der Umsetzung des Klimagesetzes. «In den Budgetdebatten konnte man beobachten, wie sich andere Bundesräte für ihr eigenes Departement ins Zeug legten, während Herr Rösti offenbar kein Problem damit hatte, dass man einen Teil der vorgesehenen Gelder für die Umsetzung des Klimagesetzes schon vor dessen Inkrafttreten kürzte, insbesondere was den Ersatz fossiler Heizungen betrifft.» Christophe Clivaz findet es falsch, dass Bundesrat Rösti stattdessen lieber in den Bau von Reserve-Gaskraftwerken investiert, die dem Klima schaden würden, sollten sie tatsächlich in Betrieb gehen.

Ist es also zumindest teilweise Albert Rösti zuzuschreiben, dass die Schweiz im Klima-Ranking 2025 zwölf Plätze zurückgefallen ist? «Herr Rösti legt sicher kein schnelles Tempo vor, um die nötigen Massnahmen umzusetzen. Aber da ist er nicht der Einzige, auch das Parlament tritt bei diesem Thema auf die Bremse.» Christophe Clivaz wundert sich darüber, wie Albert Rösti und der restliche Bundesrat sowie einige Ständeräte reagiert haben, als die Schweiz vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen ihrer Untätigkeit im Klimaschutz verurteilt wurde. «Es gibt eine Art Blindheit oder ein Nicht-wahrhaben-Wollen in Bezug auf die schlichte Tatsache, dass unser Land keine ausreichenden Massnahmen ergreift, um die Ziele zu erreichen, die es sich selbst gesetzt hat.»

«… lieber zuerst nachfragen …»

Aber der grösste Paradigmenwechsel, der uns von Albert Rösti aufgezwungen wird, ist natürlich die Rückkehr zur Atomenergie. Zur Erinnerung: 2017 hat das Volk einem schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie zugestimmt. Mit seinem Gegenvorschlag zur Volksinitiative ‹Blackout stoppen› des Energie-Clubs Schweiz will Bundesrat Rösti das Bauverbot für neue Atomkraftwerke kippen. In diesem Bereich macht sich sein Einfluss deutlich bemerkbar.»

Eine Meinung, die auch Christina Bachmann-Roth teilt: «Bei Herrn Rösti beobachtet man einen Ankündigungseffekt. Bevor er sich äussert, sollte er lieber im Volk und bei den Unternehmen nachfragen, ob sie wirklich in die Atomenergie investieren wollen.»

TANIA ARAMAN, Redaktorin der französischsprachigen Ausgabe des Pro Natura Magazins

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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