«Es braucht dringend einen Kurswechsel»
Pro Natura Magazin: Welche Bilanz ziehen Sie nach den ersten zwei Jahren von Albert Rösti im Bundesrat?
Urs Leugger-Eggimann: In den Umweltdossiers war sein Einfluss deutlich zu spüren. Natürlich gibt es auch Bereiche, in denen er die Arbeit seiner Vorgängerin Simonetta Sommaruga weitergeführt hat, besonders was die Förderung der erneuerbaren Energien betrifft. Hier können wir seine Position bis zu einem gewissen Grad unterstützen. Viel problematischer sind aber die Projekte, die er nach seinem Einzug in den Bundesrat selbst angestossen hat.
An was denken Sie dabei?
Zum Beispiel an seine Öffnungsbemühungen gegenüber der Atomenergie, die völlig kontraproduktiv sind, weil sie zu Unsicherheiten im Bereich der Förderung erneuerbarer Energien führen. Und natürlich denke ich auch an den tiefen Stellenwert, den er der Erhaltung und der Förderung von Natur und Biodiversität beimisst.
Liegt hier das grösste Problem?
Ja, denn er erkennt nicht, dass die Klimaveränderung und der Artenschwund miteinander verbunden sind und nur gemeinsam gelöst werden können. Die Förderung erneuerbarer Energien geschieht allzu oft auf Kosten der Biodiversität, die als vernachlässigbare Grösse betrachtet wird. Ein weiteres Problem ist, dass Bundesrat Rösti im Rahmen der Kampagne zur Biodiversitätsinitiative immer betont hat, die geltenden gesetzlichen Grundlagen und die zur Verfügung gestellten Finanzmittel würden ausreichen, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Aber das ist falsch, was übrigens auch von vielen Wissenschaftlern und Expertinnen der Bundesverwaltung bestätigt wird. Der im November 2024 vom Bundesrat verabschiedete Aktionsplan, der in der Kampagne immer wieder erwähnt wurde, erweist sich eher als Untätigkeitsplan.
Albert Rösti ist auch für sein Wolfsmanagement heftig kritisiert worden ...
Er hat zu stark und zu schnell reagiert. Die neue Verordnung, die seit Februar 2025 in Kraft ist, bringt zwar ein paar Verbesserungen, aber sie sind minimal. Bundesrat Rösti betrachtet die Wölfe als Bedrohung und sieht nur die Probleme, die sie verursachen können. Er sollte sich mehr für den Nutzen und die Stellung der Wölfe im Ökosystem interessieren – im Wissen, dass ihre Rückkehr auch grosse Herausforderungen mit sich bringt.
Blicken Sie mit Sorge auf seine nächsten Jahre in der Regierung?
Wenn er die Linie seiner ersten beiden Amtsjahre beibehält, dann ist das problematisch. Es braucht dringend einen Kurswechsel, eine klare Ausrichtung zugunsten von Natur, Biodiversität und Umwelt. Wir hoffen, dass wir ihm aufzeigen können, wie notwendig das ist. Unsere Kinder und Enkelkinder sind auf eine intakte und vielfältige Natur und Umwelt als Lebensgrundlage angewiesen. Und selbst führende Wirtschaftsunternehmen nennen unterdessen Klimawandel, Umweltzerstörung und Biodiversitätsverlust unter den zehn grössten Risiken für eine prosperierende Wirtschaft und Gesellschaft. Solche Erkenntnisse erhoffen wir uns zukünftig als Leitlinien für das Wirken unseres Umweltministers.
Von Tania ARAMAN, Redaktorin der französischsprachigen Ausgabe des Pro Natura Magazins
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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