Rücksichtsvolles Klettern
Die Felswände der Neuenburger Berge sind bei Mensch und Tier gleichermassen beliebt: Bei Kletterern für spannende Touren, bei Wanderfalken und Kolkraben als Brutplätze. Im Rahmen eines gemeinsamen Pilotprojekts haben die Naturschutzverbände Pro Natura und WWF sowie regionale SAC-Sektionen und der Kletterhalleverein von Neuchâtel ASEN im Jahr 2024 Kletterinnen für Hinweise auf die Anwesenheit von Wanderfalken und Kolkraben sensibilisiert. In einer ersten Phase sind sie die Zielarten des Projekts, das von Biologe Arnaud Vallat geleitet wird – selbst sowohl passionierter Ornithologe als auch leidenschaftlicher Kletterer.
Temporäre Sperrungen
Ab Februar werden die Felswände von Kletterern regelmässig mit Ferngläsern abgesucht. Anhand von Steckbriefen wird dokumentiert, falls irgendwo ein Nest gebaut wird. «Die Beobachtungszeit umfasst mindestens 90 Minuten, denn der Wanderfalke ist extrem scheu und zeigt sich nur sehr selten», erklärt Arnaud Vallat. Nach jeder Inspektion werden auf einer Karte die exakten Inspektionsrouten und Hinweise auf Nestbau vermerkt. Während dieser Zeit werden sämtliche Geländeabschnitte gesperrt, in denen in der Vergangenheit bereits Brutplätze nachgewiesen wurden.
Wird in dieser ersten Phase ein Nistplatz beobachtet, warnt beim Zustieg zur Felswand eine Informationstafel, die erwähnten Arten durch das Einhalten eines Sicherheitsabstands möglichst nicht zu stören. Auch unten an jeder Kletterroute werden entsprechende optische Hinweise angebracht. Von den Sportbegeisterten wird dann erwartet, dass sie sich von den Geländeabschnitten mit Brutplätzen fernhalten, damit die Tiere in Ruhe ihre Brutpflege betreiben können. Derjenige Teil der Felswand, der genügend weit vom Brutplatz entfernt ist, wird anschliessend wieder fürs Klettern freigegeben.
-
Arnaud Vallat
- Wanderfalken haben im Vorjahr erfolgreich gebrütet. Schilder warnen davor, einen Brutfelsen zu besteigen.
Alle Informationen sind zudem auf der Website des SAC Neuchâtel verfügbar, damit möglichst viele Kletterbegeisterte erreicht werden können.
Zwischen März und Juni wird der Nistplatz weiter regelmässig beobachtet und dokumentiert. Die Beobachterinnen liefern auch wichtige Informationen zur Anzahl der Jungtiere oder zu möglichen Störfaktoren, die zu einem Scheitern der Brut führen könnten oder eine Umsiedlung des Brutplatzes nötig machen würden. Ende Juni wird bei den letzten Beobachtungen erhoben, wie viele Jungtiere flügge geworden sind. Für den Zeitraum von Februar bis Juni werden die Felswände so sechs bis zwölf Mal von Freiwilligen abgesucht. Wenn die Jungtiere ausgeflogen sind, werden die angebrachten Hinweise entfernt und sämtliche Kletterrouten wieder freigegeben.
Dieses Projekt fördert das Nebeneinander von wilden Tieren und menschlichen Tätigkeiten an Orten, die nicht von kantonalen Zonenplänen geregelt werden. «Die Abschnitte, in denen keine Brut nachgewiesen wird, werden für den Sport auf eine konfliktfreie Art geöffnet. Und dank einer klaren Information weiss auch jeder und jede, aus welchen Gründen bestimmte Abschnitte nicht begangen werden dürfen», freut sich Arnaud Vallat.
Bruterfolg im Vorjahr
Im vergangenen Jahr, der ersten Saison mit aktiver Betreuung, wurden Nester eines Wanderfalken und eines Kolkraben entdeckt. Die Klettergemeinschaft hat sich dann vorbildlich an die Wegsperrungen gehalten – und zur grossen Freude aller Beteiligten konnten die Wanderfalken ein Jungtier und die Kolkraben gleich deren drei grossziehen.
Die Zusammenarbeit geht auf einen gegenseitigen Austausch im Jahr 2024 zurück. Durch den gemeinsamen Ansatz konnten zahlreiche Kletterfans erreicht werden – eine Herangehensweise, die auch von den Ornithologen geschätzt wurde, die den Projektleiter tatkräftig unterstützt haben. Tiere in freier Wildbahn werden oft weniger aus Fahrlässigkeit gestört als vielmehr aus mangelndem Wissen darüber, wie wichtig ihr Schutz ist. Eine Aufklärungskampagne ist deshalb genau die richtige Methode, um die involvierten Personen ins Boot zu holen.
Die aktive Überwachung 2024 hat auch mitgeholfen, weitere Störquellen für die Felsenbrüter zu erkennen, beispielsweise Wanderer, die zu nahe an den Rand der Felswände gehen, Fotografinnen, die sich den Tieren zu sehr nähern, oder unzulässige Drohnen in der Nähe der Nester. Aktuell finden Gespräche darüber statt, wie diese Sensibilisierungskampagne in Zukunft auch auf andere Freizeitaktivitäten ausgeweitet werden kann.
GAËLLE VADI, ist Geschäftsleiterin von Pro Natura Neuchâtel; ARNAUD VALLAT leitet dieses Projekt.
Weiterführende Informationen
Info
Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
Das Pro Natura Magazin nimmt Sie mit in die Natur. Es berichtet über kleine Wunder, grosse Projekte und spannende Persönlichkeiten. Es blickt hinter die Kulissen politischer Entscheide und schildert, wo, wie und warum Pro Natura für die Natur kämpft. Als Mitglied erhalten Sie das Magazin fünf mal im Jahr direkt in Ihren Briefkasten.