Biodiversitätskonvention: Ein Rahmenwerk voller [eckiger Klammern]
Die Biodiversitätskonvention (CBD) ist das wichtigste internationale Umweltabkommen zum Schutz der Biodiversität auf der Erde. Ihr Ziel ist es, globale Lösungen zur Biodiversitätskrise zu finden. Die Biodiversitätskonvention setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der 195 Vertragsstaaten inkl. der EU zusammen. Auch Wissenschaftler, Unternehmen und Umweltorganisationen nehmen an den Verhandlungen teil, haben aber kein Stimmrecht.
Pro Natura ist eine der Vertreterinnen aus der Schweiz, und vertritt auch Friends of the Earth Europe auf der Konferenz.
Der Vorläufer des globalen Rahmenwerks war bis 2020 gültig. An der Konferenz in Genf wurde nun ein neues globales Rahmenwerk erarbeitet. Dieses soll im Herbst 2022 an der 15. Vertragskonferenz (Conference of the Parties, COP15) in China verabschiedet werden und bis 2030 gelten.
Das globale Rahmenwerk legt die Ziele fest, die weltweit zum Schutz der Biodiversität bis 2030 erreicht werden sollen. Für das neue globale Rahmenwerk wurde ein zyklischer Umsetzungsmechanismus definiert, der die Umsetzung verbessern soll:
- Die Ziele des Rahmenwerks werden in die jeweiligen nationalen Biodiversitätsstrategien eingearbeitet.
- In den 7. und 8. Nationalberichten 2024 und 2029 muss zum Umsetzungsstand berichtet werden.
- Darauf aufbauend sollen die Massnahmen nachjustiert werden.
Mit weltweit einheitlichen Indikatoren wird gemessen, ob ein Ziel erreicht wurde. Hier konnten wir uns gemeinsam mit unseren Dachverbänden FoEI und FoEE (Friends of the Earth International und Europe) erfolgreich einbringen. Relevantere, zu den Zielen passende Indikatoren sollen im neuen Rahmenwerk ungeeignete Indikatoren ersetzen, z.B. solche, die falsche Anreize setzen.
Ein Beispiel: Ein Indikator soll nicht die Produktivität eines Ökosystems ins Zentrum stellen, sondern die Nachhaltigkeit seiner Nutzung.
Pro Natura zieht Bilanz
Bei der Zielsetzung des globalen Rahmenwerks wurde jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Die Zeit war knapp und NGOs kamen deswegen in den Verhandlungen wenig zu Wort. Im Vorfeld hatte Friedrich Wulf, Leiter der internationalen Biodiversitätspolitik bei Pro Natura, Knackpunkte herausgestellt. Nun zieht er Bilanz:
1. Austausch und Standardisierung sollen Umsetzung vorantreiben
Im letzten Rahmenwerk harzte es mächtig mit der Umsetzung – sie blieb allein den Umweltämtern überlassen, und es gab keine Richtlinien, wie die Umsetzung erfolgen und verfolgt werden soll. Dies soll im neuen Entwurf deutlich verbessert werden:
- Es wird ein zyklischer Umsetzungsmechanismus vorgeschlagen, welcher auf nationaler Ebene alle Ämter in die Pflicht nimmt. Für diese Lösung hat sich die Schweiz sehr konstruktiv engagiert. Allerdings fand ihr Vorschlag, ein internationales Dialogforum einzurichten, zu wenig Unterstützung.
- Es werden international standardisierte Vorlagen vorgeschlagen, in denen die nationalen Biodiversitätsstrategien und Berichte verfasst werden. Auf diesen können dann die Nachbesserungen bei der Umsetzung aufbauen. Leider reichte die Zeit nicht, die Vorschläge zu besprechen und zu beschliessen. Dies soll nun im Juni erfolgen.
2. Die Finanzierung: der grosse Elefant im Raum
Zur Umsetzung der neuen Ziele besteht eine globale Finanzierungslücke von mindestens 700 Milliarden Franken. Kein Land ist derzeit bereit, seine Beiträge deutlich zu erhöhen. Ein Global Biodiversity Fund, also ein spezielles Finanzierungsinstrument für die globale Biodiversität, bleibt illusionär.
Einen Grossteil der Finanzierung könnte man gewinnen, wenn alle biodiversitätsschädigenden Subventionen abgeschafft oder umgewandelt werden. Darüber sind sich die Vertragsstaaten zwar einig, das Problem besteht aber darin, diese Subventionen zu identifizieren und anschliessend durchzusetzen, dass sie eine andere Zweckbestimmung bekommen oder ganz abgeschafft werden. Zudem befriedigt dies nicht die Finanzierungswünsche der Entwicklungsländer.
Die Finanzierungsfrage konnte in dieser Vorbereitungskonferenz nicht geklärt werden. Auf der COP15 im Herbst 2022, wo das Rahmenwerk verabschiedet werden soll, wird der Druck aber deutlich höher sein. Denn die Entwicklungsländer werden ohne klare Finanzierungszusagen dem Rahmenwerk nicht zustimmen. Das haben sie auf der Vorbereitungskonferenz noch einmal deutlich gemacht.
3. Die Verantwortung: Staaten müssen in die Pflicht genommen werden
Die Rettung der biologischen Vielfalt kann nicht den Unternehmen und Konsumenten allein überlassen werden. Staaten müssen Regeln und Anreize einführen, um den Überkonsum zu reduzieren, der für viele schädigende Auswirkungen auf Ökosysteme verantwortlich ist.
Auch hier haben wir einen grossen Schritt geschafft, um die Staaten in die Pflicht zu nehmen. Es soll in ihrer Verantwortung sein, Leitplanken aufzustellen und staatliche Regulierungen einzuleiten.
4. Die geschützten Flächen: ein Flächenziel allein reicht nicht
Eine «Koalition der hohen Ambitionen», der auch die Schweiz angehört, will erreichen, dass bis 2030 insgesamt 30 Prozent des Planeten unter Schutz gestellt werden. Trotz starker Unterstützung durch viele Staaten, ist es noch offen, ob man sich auf einen konkreten Prozentwert einigen wird.
Auch die für uns sehr wichtige Frage, ob die Rechte der Indigenen gewahrt werden müssen, ist noch nicht entschieden. Es ist notwendig, dass ihre Gebiete miteinbezogen werden und alle Gebiete repräsentativ, wirksam und gerecht verwaltet und durch ökologische Korridore miteinander verbunden werden. Nur Gebiete, die all diesen Kriterien entsprechen, dürfen dem Ziel angerechnet werden.
Ein Flächenziel darf nicht auf Kosten der Indigenen erreicht werden, die aus ihren Gebieten vertrieben werden. Es braucht einen Indikator, der die Einhaltung der Menschenrechte überprüft. Dieser wurde im jetzigen Entwurf noch nicht geschaffen.
- Bertrand Sansonnens
5. Erhaltung vor Wiederherstellung: Einigkeit über den Erhalt von Lebensräumen
Auch im neuen Vorschlag sollen voraussichtlich 20 % der degradierten Ökosysteme wieder hergestellt werden. Der Erhalt bestehender Lebensräume, etwa von jahrhundertalten Mooren und Wäldern, muss aber unbedingt Vorrang haben. Diesen Vorschlag haben die NGOs erfolgreich eingebracht, es bleibt zu hoffen, dass er Bestand hat und in der endgültigen Fassung enthalten ist.
Die Zeit war zu knapp, die Positionen zu unterschiedlich
Zwei Jahre lang haben sich die Delegierten der Länder nicht persönlich getroffen. So ist es trotz aller Online-Meetings nicht verwunderlich, dass es viel Nachholbedarf gab. Dennoch reichte die Zeit an allen Ecken und Enden nicht aus, um die vielen Verhandlungsstränge zu Ende zu bringen. Die provisorisch verabschiedeten Texte strotzen vor eckigen Klammern. Diese werden um Vorschläge gesetzt, zu denen noch keine Einigkeit besteht. Bevor die für September angesetzte Vertragsstaatenkonferenz in China startet, wird es deswegen eine weitere Verhandlungsrunde geben. Sie findet im Juni in Nairobi statt.
Angesichts der Biodiversitätskrise müssen nationale und wirtschaftliche Interessen zurückgestellt werden. Der Wille dazu war bei den Verhandlungen in Genf jedoch noch kaum zu erkennen. Im Gegenteil: einige Ziele im Entwurf wurden deutlich verwässert, nur um eine Einigung zu erzielen. Es bleibt zu hoffen, dass es auf der nächsten Verhandlungsrunde in Nairobi gelingt, das Niveau zu halten und wirksame und ehrgeizige Ziele zu verabschieden. Sonst wird das neue globale Rahmenwerk tatsächlich schlechter als sein Vorgänger.