«… das muss einem doch zu denken geben!»
Es nieselt, als Fredy Hiestand aus dem Gewächshaus tritt und die Gemüsebeete entlanggeht, vorbei an Rüebli und Zwiebeln, Zucchetti und Kürbis, Broccoli und Blumenkohl. «Da weiss man, was man isst», sagt der 75-Jährige und pflückt ein paar Cornichons. Schon als kleiner Bub war für ihn klar: «Ich werde entweder Bäcker oder Gärtner.»
Bäcker ist er geworden – und was für einer. Nach nur acht Schuljahren machte er eine Lehre als Bäcker-Konditor. Als er merkte, dass er mit seinem Lohn nicht weit kam, fuhr er Taxi, bis er 5000 Franken beisammenhatte: das Startkapital für seine erste Backstube in einem Keller in Zürich-Wipkingen. 30 Jahre später war Fredy Hiestand Chef eines internationalen Konzerns mit mehreren 100 Millionen Umsatz und gegen 2000 Mitarbeitern. Sein Geniestreich: vorgegarte, tiefgekühlte Gipfelteiglinge, mit denen er Bäckereien, Gastrobetriebe und Tankstellen belieferte.
Blumen, Hühner und Rotaugen
Das Gärtnern ist dem «Gipfelikönig» ein liebes Hobby geblieben. In seinem grossen Garten in Geroldswil AG gedeihen nicht nur Blumen und Gemüse. In einer Ecke gackern Hühner, Frösche quaken und im Gartenteich schwimmen Egli, Rotaugen und Döbel, passend zu Hiestands zweitem Hobby, dem Fischen.
1997 ging Hiestand an die Börse, wenige Jahre später schied Fredy Hiestand aus dem Unternehmen aus – und gründete ein neues. Mit «Fredy’s» setzt er heute auf gesunde Qualitätsbackwaren und propagiert etwa die Verwendung von Weizenkeimen. «Sie sind das Wertvollste am Getreidekorn, werden dem Mehl jedoch aus Gründen der Haltbarkeit entzogen. Wir setzen sie unseren Produkten wieder zu.»
In einer wilderen Ecke des Gartens hat ein befreundeter Imker drei Bienenstöcke eingerichtet. «Vor etwa zwei Jahren ist mir aufgefallen, dass im Garten viel weniger Bienen fliegen als früher.» Auch Schwalben beobachte er nur noch selten. «Ich sehe in meiner Umgebung, worüber die Medien fast täglich berichten», sagt er. «Bienensterben, Rückgang der Insekten, Pestizidrückstände in Gewässern und Nahrungsmitteln, Seen, die künstlich belüftet werden müssen – das muss einem doch zu denken geben!»
«…nicht nur Leute in Sandalen»
Für Fredy Hiestand ist es höchste Zeit, unseren Lebensgrundlagen mehr Sorge zu tragen. Deshalb unterstützt er die Initiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung». «Als Bäcker möchte ich gesunde Produkte anbieten.» Dafür brauche es gesunde Rohstoffe aus einer intakten Umwelt. «Aber mit der konventionellen, intensiven Landwirtschaft machen wir unsere Umwelt kaputt.» Für viele kam das Engagement des Unternehmers und FDP-Mitglieds überraschend. Doch Hiestand ist überzeugt: «Es braucht auch Leute wie mich, die für die Anliegen der Initiative einstehen – und nicht nur solche in Holzsandalen.»
In seiner Firma verwende er nur Mehle aus Bio- und IP-Suisse-Produktion. «Im Moment produzieren wir erst knapp 10 Prozent der Brote in Bio-Qualität. Mein Ziel ist, diesen Anteil mindestens zu verdoppeln.» In der Trinkwasser-Initiative sieht er die Chance, den biologischen Anbau in der Schweiz zu fördern. Den Einwand von Bauernverbandspräsident Markus Ritter, eine Getreideproduktion ohne Pflanzenschutzmittel sei kaum möglich, lässt Hiestand nicht gelten: «Es gibt Betriebe, die heute schon das Gegenteil beweisen.» Ausserdem würden die vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) gelisteten Pflanzenschutzmittel von der Initiative nicht tangiert.
«Ich habe viel erreicht»
Das Nieseln ist in Regen übergegangen, Fredy Hiestand setzt sich in den Wintergarten. Nach einem Herzinfarkt vor gut drei Jahren hat er beschlossen, sein Tempo etwas zu drosseln. Von Ruhestand kann trotzdem nicht die Rede sein. Nach wie vor fährt er drei bis vier Mal pro Woche in seine Firma. Und gerade war er wieder für zehn Tage in Westafrika.
Dort, an der Elfenbeinküste, hat er sein jüngstes Projekt gestartet: Auf 100 Hektaren Land baut er eine Plantage nach dem Waldgartenprinzip auf, eine Mischkultur nach biologischen Richtlinien. Über zwanzig Pflanzenarten wachsen auf «Fredy’s Plantation», von Kakao über Bananen, Avocado und Papaya bis zu Kautschuk und Teak. Dabei wird der Stockwerkbau der natürlichen Vegetation nachgeahmt.
Neben der Produktion für den lokalen Markt will Hiestand dereinst Kakao in die Schweiz importieren. Seine Mission: «Ich will beweisen, dass biologische Mischkultur rentiert.» Dank Arbeitsplätzen und Know-how-Transfer will er ausserdem die Lebensumstände der Bevölkerung verbessern. «Ich habe viel erreicht in meinem Leben, nun möchte ich anderen eine Perspektive geben.» Und so ist Fredy Hiestand schliesslich irgendwie doch beides geworden: Bäcker und Gärtner.
ANDREA STRÄSSLE arbeitet als freischaffende Journalistin.
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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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