Die bedrohten Kronjuwelen
Die wertvollsten ökologischen Lebensräume der Schweiz, die noch nicht zerstört worden sind, sind seit 1987 in den Bundesinventaren der geschützten Lebensräume erfasst. Dazu zählen Auen, Trockenwiesen, Amphibienlaichgebiete sowie Flach- und Hochmoore. Zusammen machen diese besonderen Habitate nur 1,8 Prozent der Landesfläche aus, sie beherbergen aber ein Drittel der bedrohten Tierarten der Schweiz.
Mit dem geltenden Energiegesetz war es faktisch ausgeschlossen, dass diese Biotope von nationaler Bedeutung durch neue Energieprojekte beeinträchtigt oder zerstört werden dürfen; ihr Schutz vor solchen Projekten wurde explizit ins Gesetz aufgenommen. In der laufenden parlamentarischen Debatte zur Revision des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes (Mantelerlass) droht der Schutz dieser wertvollsten Flächen für die Biodiversität wieder aufgehoben zu werden.
In dieser Rubrik stellen wir mehrere geschützte Lebensräume vor, die schon konkret von der Zerstörung bedroht gewesen sind. Mit dem neuen Energiegesetz, so wie es der Ständerat aufgegleist hat, wird diese Bedrohung wieder sehr konkret. Der Nationalrat beschäftigt sich in der Frühlingssession mit dem Mantelerlass zum Energiegesetz.
-
Die Mutter aller bedrohten Hochebenen
- Raphael Weber
Sie ist sozusagen die Mutter aller bedrohten Hochtäler, die vor der Flutung gerettet worden sind: In den 1970er- und 1980er-Jahren formierte sich grosser Widerstand gegen den geplanten Bau einer Staumauer auf der Greina-Hochebene. Zu ihrer Rettung wurde die Verordnung zur Abgeltung von Einbussen der Wasserkraftnutzung (VAEW) geschaffen. Damit erhalten Standortgemeinden, die auf Kraftwerkprojekte in national bedeutenden Landschaften verzichten, eine Entschädigung für entgangene Wasserzinsen. Die Greina ist nun ein solches VAEW-Gebiet, doch dessen Schutzwirkung ist relativ: Die auf 40 Jahre angelegten Verträge können jederzeit einvernehmlich zwischen Bund und Gemeinden aufgelöst werden. Mehr Schutz hat der einzigartigen Hochebene bisher der Status einer Aue von nationaler Bedeutung geboten, mit dem neuen Energiegesetz würde dieses Siegel aber bedeutungslos.
-
Noch unberührte Wildnis
- Raphael Weber
Südlich des Bietschhorns schiessen gleich zwei spektakuläre Bergtäler steil zur Rhone hinunter: das Bietschtal und das Baltschiedertal (Bild). Beide sind unbewohnt, und in beiden bestanden Pläne zum Bau von Stauseen. Diese sind nicht mehr aktuell, weil die Täler mittlerweile VAEW-Gebiete sind und deren dramatische Talkessel Eingang ins Inventar der Auen von nationaler Bedeutung gefunden haben. Doch mit den neusten Entwicklungen können Pläne zur Flutung dieser wilden Alpentäler jederzeit wieder aufflackern.
-
Ein ungeschützter Smaragd
- Raphael Weber
Ein beliebtes Naherholungsgebiet der Stadt Genf – das grandiose Vallon de l’Allondon – drohte in den 1940er-Jahren in einem Stausee zu verschwinden. Dagegen formierte sich breiter Widerstand, und das Projekt wurde schliesslich sistiert. Eine Neuauflage dieses Settings schien bisher unmöglich: Das wilde Tal ist eine Aue von nationaler Bedeutung und Teil des internationalen Smaragd-Netzwerks. Doch gegenüber einem Energieprojekt von nationaler Bedeutung hätte dieser Schutzstatus nun nur noch wenig Gewicht.
-
Unberührbare Attraktionen?
- Raphael Weber
Für viele Leserinnen und Leser mag es illusorisch tönen, dass populäre Touristenattraktionen wie die Engadiner Val Roseg oder Morteratsch (Bild) jemals in einem Stausee verschwinden könnten. Dies ist nun aber kein Ding der Unmöglichkeit mehr; der Schutzstatus dieser Auen von nationaler Bedeutung würde mit der geplanten Gesetzesänderung deutlich geschwächt. Damit würden die spektakulären Hochtäler für Investoren interessant, zumal in diesen Hochgebirgslandschaften trotz des Gletscherschwunds noch während Jahrzehnten mit hohen Schmelzwassermengen zu rechnen ist. Grundsätzlich würde es dann genügen, dass Kanton und Standortgemeinde ein Projekt von nationalem Interesse durchwinken, mit der Aussicht auf Wasserzinsen, Arbeitsplätze und tiefere Strompreise.
Weiterführende Informationen
Info
Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
Das Pro Natura Magazin nimmt Sie mit in die Natur. Es berichtet über kleine Wunder, grosse Projekte und spannende Persönlichkeiten. Es blickt hinter die Kulissen politischer Entscheide und schildert, wo, wie und warum Pro Natura für die Natur kämpft. Als Mitglied erhalten Sie das Magazin fünf mal im Jahr direkt in Ihren Briefkasten.