Auf dem Weg zu neuen internationalen Biodiversitätszielen
Die Bilanz der hoffnungsvoll ausgerufenen «Uno-Biodiversitätsdekade» (2011 bis 2020) fiel Ende letzten Jahres ernüchternd aus: Keines der bisherigen internationalen Biodiversitätsziele (so genannten «Aichi-Ziele») ist erreicht worden. Derweil hat die Biodiversitätskrise ein derart bedrohliches Ausmass angenommen, dass der dringende Handlungsbedarf von niemandem mehr geleugnet werden kann.
Die Weltgemeinschaft nimmt einen neuen Anlauf
Im Oktober 2021 treffen sich – mit einem Jahr coronabedingter Verspätung – die Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention (CBD), darunter auch die Schweiz, im chinesischen Kunming. Vorausgesetzt, die Pandemie lässt dies zu. Dort sollen neue globale Biodiversitätsziele beschlossen werden, umzusetzen bis 2030. Vom 3. Mai bis 13. Juni laufen die bisherigen Vorbereitungsarbeiten für das neue «Globale Biodiversitätsrahmenwerk» in einer wichtigen Zwischenetappe zusammen: der Konferenz des wissenschaftlich-technisch-technologischen Beirats (SBSTTA) und des Umsetzungsbeirats (SBI). Pro Natura ist zusammen mit ihrem Netzwerk Friends of the Earth International an den Verhandlungen dabei und engagiert sich für ein wirksames, ambitioniertes und faires Abkommen, das den Verlust der Biodiversität bis 2030 stoppt. Dabei sind einige Verhandlungsthemen von besonderer Bedeutung, auch und gerade für die Biodiversitätspolitik der Schweiz.
Umsetzung zur Aufgabe für alle machen
Dass die Aichi-Ziele nicht erreicht wurden, liegt allem voran an grossen Mängeln in der Umsetzung. In Zukunft soll diese nicht mehr jedem Land vollkommen selbst überlassen sein, sondern nach einheitlichen Vorgaben geplant werden, mit normierten Formaten für die Berichterstattung und einem verbindlichen Überprüfungsmechanismus. Zudem soll die Verantwortung für die Umsetzung von Biodiversitätszielen nicht mehr nur bei den Umweltressorts liegen, sondern als Querschnittaufgabe aller Politikbereiche verstanden werden («whole government approach»). Das ist auch für die Schweiz und ihre Biodiversitätsstrategie eine wichtige Botschaft: Der neue Aktionsplan, der ab 2023 in Kraft treten soll, muss weit mehr als bisher alle Politikbereiche gleichermassen verpflichten und für alle Ressorts verbindliche Vorgaben machen. Das bedeutet auch darauf zu achten, dass der Nutzungsdruck – etwa in der Landwirtschaft oder im Energiebereich – den Druck auf die Artenvielfalt nicht noch mehr erhöht. In diesem Punkt besteht auch im gegenwärtigen Entwurf des neuen globalen Rahmenabkommens Verbesserungsbedarf.
Flächen und Finanzen: es braucht mehr!
Flächenziele sind ein zentrales Thema, in der internationalen Diskussion genauso wie auf nationaler Ebene. Unter dem Motto «30by30» hat sich eine Gruppe von über 57 Ländern («High Ambition Coalition») dafür ausgesprochen, dass auf 30% der Land- und Meeresfläche die Bewahrung der Natur Vorrang haben soll. Die Schweiz gehört dieser Gruppe an – zu Recht, denn dieses Ziel ist auch für die Schweiz aus wissenschaftlicher Sicht nötig. Dabei geht es nicht nur um quantitative Ziele, sondern auch um qualitative Verbesserungen und um die Partizipation der betroffenen Bevölkerung. National wie auch international sind eine repräsentative Auswahl der Gebiete, ein fairer und umfassender Einbezug der GrundeigentümerInnen und aller Stakeholder nötig sowie ein abgestimmtes, wirksames und zielführendes Schutzgebietsmanagement.
Zur Diskussion stehen auch die Finanzen. Hierbei wird neben einer deutlichen Erhöhung der finanziellen Unterstützung an die Länder im globalen Süden (erneut) eine Umlenkung biodiversitätsschädigender Subventionen gefordert. Auch hier ergeben sich reichlich Ansatzpunkte für die Schweiz: sie reichen von der Erhöhung der finanziellen Mittel für die Biodiversität auf allen Stufen bis zur Abschaffung biodiversitätsschädigender Subventionen, deren Wert bekanntlich auf mindestens 40 Mrd. Franken jährlich geschätzt wird.
Wirtschaft und Konsum: Planetare Grenzen respektieren
Wer Biodiversitätsziele erreichen will, kommt nicht umhin, auch die Wirtschaft, den Handel und den Konsum in die Pflicht zu nehmen. Die Nachfrage in den Industrieländern und die Aktivitäten der dort angesiedelten Konzerne üben einen immensen Druck auf die Biodiversität in den Entwicklungsländern aus. Es braucht rechtlich verbindliche Spielregeln, dass ihre wirtschaftlichen Aktivitäten nicht zulasten von Umwelt und Menschenrechten gehen. Aktuell möchte der Entwurf des neuen globalen Biodiversitätsrahmenwerks nur die KonsumentInnen adressieren. Das reicht jedoch ebenso wenig wie rein freiwillige Verpflichtungen der Unternehmen. Die Schweiz zumindest hat mit dem Volksmehr zur Konzernverantwortungsinitiative ein klares Signal erhalten, dass mehr bindende staatliche Regeln gewünscht sind.
Es gibt noch viel zu tun… international und in der Schweiz
Der aktuelle Entwurf des neuen globalen Biodiversitätsvertrags liegt derzeit noch deutlich hinter den bestehenden Aichi-Zielen zurück, und berücksichtigt auch wichtige Aspekte der Biodiversitätskonvention nicht. In ihrem Bestreben nach einem griffigeren Vertragswerk liegen die Positionen der offiziellen Schweiz und von Pro Natura / Friends of the Earth erfreulicherweise in vielen Punkten nicht weit auseinander. Die Schweizer Delegation dürfte in den Verhandlungen manche der oben aufgeführten Forderungen aufgreifen. Bleibt zu hoffen, dass auch die Schweizer Biodiversitätspolitik, mit oder ohne starkes internationales Rahmenwerk, in Zukunft ambitionierter und griffiger wird.