Wie steht es um die Klimajugend in der Schweiz?
Hat die Covid-19-Pandemie das Engagement der Jugend für den Umweltschutz zum Erliegen gebracht? Laut einer Studie des Forschungsinstituts Sotomo, die Anfang 2024 veröffentlicht wurde, haben die 18- bis 35-Jährigen heute den grössten ökologischen Fussabdruck des Landes: Sie verursachen 11,3 Tonnen CO2 pro Jahr (im Vergleich zum Schnitt von 10,5 Tonnen), und zwar vor allem, weil sie mehr fliegen als die Älteren. Daraus sollte man allerdings keine voreiligen Schlüsse ziehen: Auch die Autoren der Umfrage betonen, dass die Zahl relativiert werden muss, denn unter den jungen Erwachsenen gibt es eine Minderheit (30 Prozent), die den Schnitt nach oben treibt und die Klimabilanz der ganzen Altersgruppe verschlechtert. Oriane Sarrasin, Lehr- und Forschungsbeauftragte für Sozial- und Umweltpsychologie an der Universität Lausanne, bestätigt das: «Wir stellen bei den Jungen eine grosse Heterogenität fest. Viele sind nach wie vor engagiert, während sich andere nicht für die Thematik zu interessieren scheinen. Zudem sollten wir genauer definieren, was wir unter Engagement verstehen, denn da gibt es verschiedene Formen. Es ist zum Beispiel möglich, dass sich jemand sehr stark für den Naturschutz engagiert, gleichzeitig aber nicht auf eine klimaschonende Ernährung achtet.»
Laut einer internationalen Studie, die 2021 in der englischsprachigen Zeitschrift «The Lancet» veröffentlicht wurde, geben drei von vier jungen Menschen im Alter von 16 bis 25 Jahren an, dass sie unter Öko-Angst leiden, also sich Sorgen darüber machen, wie sich die menschlichen Aktivitäten auf die Zukunft unseres Planeten auswirken. «Menschen mit Öko-Angst sind oft sehr gut informiert und haben sich mit wissenschaftlichen Studien oder den Klimaberichten des IPCC beschäftigt, die alle ähnliche Ergebnisse präsentieren: beschleunigte Erderwärmung, sechstes Massenaussterben, Zerstörung der Wälder usw.», sagt der französische Psychologe und Psychotherapeut Pierre-Éric Sutter, Lehr- und Forschungsbeauftragter am Conservatoire national des arts et métiers (CNAM) und Leiter des Observatoire de l’éco-anxiété (Beobachtungsstelle für Öko-Angst). Diese Menschen «haben eine klare Vorstellung von den Szenarien, die sich abspielen könnten, wenn wir unser umweltschädliches Verhalten nicht ändern. Und sie befinden sich in einer existenziellen Krise, die sich unter anderem darin äussert, dass sie das Gefühl haben, nicht genug für die Umwelt zu tun.»
Von der Öko-Angst zum Engagement
Betrifft dieses Problem vor allem die Jungen? «Wir können keinen Unterschied zwischen den Altersgruppen feststellen», fährt der Experte fort. «Unter den 30- oder 50-Jährigen gibt es genauso viele Menschen mit Öko-Angst wie unter den Jungen. Und wir beobachten verschiedene Ausmasse dieser Angst.» Ähnlich klingt es bei Oriane Sarrasin, die allerdings lieber von Öko-Emotionen spricht: «Die Bandbreite ist gross: Manche Menschen äussern einfach ihre Besorgnis, andere können nachts nicht mehr schlafen.»
Aus Sicht von Pierre-Éric Sutter sind die Jungen jedoch eher bereit, aufgrund dieser Angst zu handeln. «Es ist ihre Zukunft, die auf dem Spiel steht. Zudem hat man in ihrem Alter noch mehr Lust auf kämpferische Auseinandersetzungen und ist noch nicht so stark von den Interessen der Konsumgesellschaft pervertiert worden.» Hier bietet sich das Konzept des konkreten Öko-Projekts an. Durch das Handeln kann man sich nicht nur für den Umweltschutz einsetzen, sondern auch seine Ängste regulieren. «Ich erzähle gerne die Geschichte des Deutschen Felix Finkbeiner, der als Neunjähriger über die Abholzung der Amazonaswälder bestürzt war und 2007 beschloss, er werde als Erwachsener eine Milliarde Bäume pflanzen. Mit der Unterstützung seiner Eltern und eines Lehrers, der ihn ermutigte, den ersten Baum auf dem Schulhof zu pflanzen, gründete er schon bald eine NGO und erhielt für sein Vorhaben sogar Zuschüsse von der UNO. Mittlerweile hat er mit seinen Teams 14 Milliarden Bäume gepflanzt.» Der Psychologe warnt jedoch vor allzu ambitionierten Zielen. «Es sind nicht alle dazu berufen, grossartige Taten zu vollbringen. Statt sofort das ganze Packeis retten zu wollen, sollte man sich vielleicht zuerst auf die eigenen Fähigkeiten besinnen, um herauszufinden, welches Engagement am besten passt.»
Wider den Frust
Heute gehen die Jungen aber nicht mehr so oft auf die Strasse. Eine Folge der Pandemie? Sarrasin räumt ein: «Wir können nicht sagen, was passiert wäre, wenn es Covid nicht gegeben hätte. Unter den Jungen lässt sich aber eine gewisse Politikverdrossenheit oder gar Wut auf die herrschende Klasse beobachten. Wer sich bei den Wahlen von 2019 für die Grünen einsetzte, ist jetzt vielleicht enttäuscht, dass sich in vier Jahren so wenig geändert hat.» Es ist auch schwierig, engagiert zu bleiben, wenn die Auswirkungen der eigenen Handlungen nicht sichtbar werden. «Das gilt insbesondere für den Klimawandel: Man kann zwar auf das Fliegen verzichten oder weniger Fleisch essen, aber die Wirkung ist nicht direkt spürbar. Das kann frustrierend sein. Vor allem, wenn man sieht, dass andere gar nichts tun.» Aus Sicht der Wissenschaftlerin sind die Jugendlichen von heute auch mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert. Am Nachhaltigkeitstag eines Gymnasiums erlebte sie zum Beispiel, wie sich einige Jugendliche heftig darüber beklagten, dass sie keine weiten Reisen machen dürfen, während ihre Eltern von den prägenden Reisen ihrer Jugend erzählen. «Einerseits verlangt man von den Jungen, dass sie die Welt verändern, und andererseits suggeriert ihnen die Gesellschaft weiterhin, das Glück bestehe darin, nach dem Studium ans andere Ende der Welt zu reisen. Die kollektiven Vorstellungen haben sich kaum gewandelt und unsere Welt drängt die Jungen nach wie vor zum Konsum.»
Doch für die Psychologin bedeutet das nicht, dass die jungen Menschen, die 2018 und 2019 auf die Strasse gingen, ihr Umweltbewusstsein über Bord geworfen haben. Es drückt sich wahrscheinlich nur anders aus. Auch die acht Porträts in diesem Dossier zeigen, dass es verschiedene Formen von Engagement gibt und dass sich diese im Laufe der Zeit verändern können. Während die einen auf den aktivistischen oder den politischen Weg setzen, engagieren sich andere im Beruf oder sensibilisieren die jüngere Generation. Hauptsache, es geht weiter!
«Ich möchte dazu inspirieren, sich wieder mit der Natur zu verbinden»
«Wir sollten mehr auf die Kinder hören»
«Vögel sind ein guter Indikator für den Zustand der Natur»
«Ich fühle mich nützlich»
«Wir möchten etwas bewegen»
«Mich faszinieren diese kleinen Schönheiten ungemein»
«Ich wollte gegen Lobbys kämpfen»
«Die Langsamkeit der Prozesse frustriert mich»
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Info
Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.
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